Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
zwei Kisten nach draußen. Wie seltsam mir die Männer und Frauen vorkamen. Vor allem die weichlichen Figuren der Männer. Heimlich schlich sich Rebs magere Gestalt in meine Gedanken, aber ich schob ihn resolut zur Seite und lauschte der Gruppe. Schmerzlich vertraut klang ihre Sprache für mich. Heimweh, Kyria?, fragte ich mich verwundert. Doch ich beobachtete weiter. Die Besucher betasteten die Schüsseln und Vasen, die Tilia getöpfert hatte – klar, solche Handarbeit gab es in NuYu nicht. Sie zögerten, die Probierhäppchen anzunehmen, Weißbrotscheiben mit unseren Marmeladen. Wahrscheinlich hatten sie Angst, damit eine Magenverstimmung zu riskieren. Hazel pries jedoch die Ware fröhlich an, und Maple verwickelte eine einheimische Kundin in ein lautstarkes Gespräch über die Masernseuche, die eben ausgebrochen sei.
Aber hoppla – das brachte Louise und Berti gewaltig in Schwung. Sie hetzten ihre Herde geradezu fluchtartig vom Markt.
»Kannst rauskommen, Kyria. Die werden wir nicht wiedersehen.«
Ich kletterte aus dem Wagen und seufzte. Es war zwar warm hier draußen, aber geradezu elysisch gegenüber dem Backofen. Maple reichte mir eine Flasche Wasser.
»Du siehst ein wenig erhitzt aus, Prinzesschen.«
»Ach was?«
Dankbar trank ich das lauwarme Wasser.
»Eine Stunde noch, dann können wir den Stand abbauen«, tröstete Hazel mich.
Ich überstand auch die und klappte, als die Glocken der Kirche zwölf Uhr schlugen, mein vollgeschriebenes Heft zu. Am Nachmittag würde ich es genauer auswerten, aber es zeichnete sich jetzt schon ab, dass tatsächlich die Maternelle und das Collège infiziert worden waren.
Nachdem wir schließlich die leeren Kisten und die nicht verkaufte Ware im Laderaum verstaut hatten, fragte ich: »Hat sich Willow vergangene Woche im Kindergarten oder in der Schule aufgehalten?«
»Ist es das, was du herausgefunden hast?«, wollte Maple wissen.
»Sieht verdächtig danach aus. Und, hat sie?«
»Lass mich überlegen – wir haben am Montag letzter Woche die Kirschmarmeladen verkauft, und – ja, sie hat doch Butterkaramellen gemacht. Stimmt. Sie hat ein paar übrig gebliebene Beutel davon im Kindergarten abgegeben.«
»Mindestens fünf Kinder unter sechs Jahren haben sich angesteckt.«
»Lass uns ebenfalls an der Maternelle vorbeifahren, Maple, und fragen, ob sich vorige Woche dort Fremde haben blicken lassen. Der Kindergarten gehört bestimmt nicht zum Besichtigungsprogramm der Touris, also müssen sich ein oder zwei von ihnen selbstständig gemacht haben.«
Ruckelnd setzte sich der Lieferwagen in Bewegung, schaukelte durch die engen Straßen, und nach einer kurzen Fahrt hielt Maple an einem mit bunten Blumen bemalten Gebäude inmitten eines großen, grasbewachsenen Areals voller Rutschen, Schaukeln und Wippen. Doch wirkte das Gebäude verwaist.
Wir stiegen aus und klingelten an der Tür. Eine ältere Dame öffnete und erklärte uns, sie hätten heute Morgen beschlossen, den Kindergarten wegen des Ausbruchs der Masern zu schließen und zu desinfizieren. Eine Putzmannschaft war im Hintergrund tätig.
»Sind vorletzte Woche von Freitag bis Montag irgendwelche Fremden bei Ihnen gewesen, Madame Keroux?«, fragte Maple.
»Pff – Sie glauben das Gerücht, dass irgendwelche Flüchtlinge die Masern eingeschleppt haben, Maple?«
»Flüchtlinge wohl nicht. Zumindest unser Flüchtling hier nicht.«
»Mhm. Ich weiß nicht, wir sind ständig mit den Kleinen beschäftigt. Wenn jemand uneingeladen während der Öffnungszeiten hier reinkommen will, kann er das, wenn er es geschickt anstellt, jederzeit.«
»Na gut, halten Sie die Ohren auf, Madame, vielleicht hören Sie ja etwas.«
Im Auto meinte Hazel: »Das wird schwierig.«
»Ja, sieht so aus. In NuYu gibt es Videoüberwachung an den Eingängen, Alarmanlagen an den Fenstern, Id-Sensoren, die jede Bewegung aufzeichnen.«
»Hier schließen wir nicht einmal die Türen ab.«
Den Rest der zwanzigminütigen Fahrt schwiegen wir, alle drei mit unseren Überlegungen beschäftigt.
Nachdem wir ausgestiegen waren, sagten Hazel und ich gleichzeitig leise, sodass Maple es nicht hörte: »Lodge!«
»Wir brauchen die Besucherlisten.«
»Und Bilder. Auf Bildern erkennt vielleicht jemand die Fremden.«
Hazel hatte sich lange genug in NuYu aufgehalten, um meinen Gedankengängen zu folgen.
»Schöne Idee, aber wie wollen wir darankommen?«
»Nun ja – die Touris, die wir heute gesehen haben, sind vermutlich schon abgereist. Und neue werden
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