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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Lyvia Mercher, Zimmer vierhundertzweiundzwanzig, hat das Hotel vor zweiundzwanzig Minuten verlassen. Wollen Sie eine Botschaft hinterlassen?«
    Ein eiskalter Schauer lief über den Nacken.
    »Verlassen? … War sie allein?«
    »Nein, mein Herr. Sie befand sich in Begleitung von drei Männern.«
    »Beschreibe sie!«
    »Zwei große, kräftige Humanoide und ein kleiner Mann. Die Körpermaße weisen darauf hin …«
    Ich legte auf. Wie hatten sie es geschafft, sie zu finden, und niemand im Lemmia konnte wissen, wohin ich Lyvia gebracht hatte.
    »Die neue Adresse, mein Herr?«
    Die trockene Stimme der Automatischen Zentrale riß mich aus meinen Gedanken. Der Lenkerrobot wollte neue Anweisungen.
    »Soll ich Sie zur vorhergehenden Adresse zurückbringen, mein Herr?«
    Die vorhergehende Adresse? Das konnte nur bedeuten, daß die Taxizentrale die Fahrten ihrer Kunden speicherte.
    »Antworte auf eine Frage«, befahl ich zähneknirschend. »Über welchen Gedächtnisgradienten verfügst du?«
    »Gradient vier, mein Herr. Alle Taxis von Lemmia …«
    »Und der zentrale Speicher? Verfügt er über einen Zensur-Schaltkreis?«
    »Nein, mein Herr. Alle Taxis von Lemmia stehen im öffentlichen Dienst und erteilen jedem Kunden alle von ihm verlangten Auskünfte.«
    Ich hatte den Verräter gefunden. Die Zentrale des Taxis, das uns ins Hotel gebracht hatte, konnte die seltsame halbnackte Frau, die ein Insektoid an ihre Brust drückte, nicht vergessen haben. Bertil mußte nur Informationen in bezug auf ein Taxi verlangen, und das Zentralgedächtnis hatte ihm das Ziel des ungewöhnlichen Paares auf einem Tablett serviert.
    Ich holte tief Luft. Den Fehler hatte ich auf dem Gewissen, aber auch die Organisation, die dieses wichtige Detail in den Informationen über Lemmia nicht erwähnt hatte.
    »Bring mich zur vorhergehenden Adresse!« murmelte ich.
    Als das Taxi vor Bertils Hauptquartier hielt, stieg ich direkt auf den Gehsteig aus; es hatte keinen Sinn, mich heimlich anzuschleichen. Davon abgesehen, daß mich Bertil sehr wahrscheinlich erwartete. Meine einzige Waffe bestand aus einer wohlausgewogenen Mischung von Überraschungseffekt und Gewalt, den beiden Hauptbestandteilen meiner Ausbildung zum terrestrischen Geek.
    In der Vorhalle des Gebäudes vermied ich es, in den Bereich der verborgenen Telekameras zu geraten: meine adaptierte Augennetzhaut nahm selbst die geringste Wärmequelle wahr. Statt dessen schlüpfte ich in eine Videophon-Kabine und wählte die Nummer des städtischen Bauamts; einige Sekunden später hatte ich den vollständigen Plan des Gebäudes und die ursprüngliche Raumaufteilung in Bertils weitläufiger Wohnung vor Augen. Der Name des Besitzers stimmte nicht, aber das spielte keine Rolle. Ich legte auf und verließ das Haus. Es war kurz nach sechs, und die Straße belebter, aber niemand beachtete die schnellen Bewegungen, mit denen ich drei ferngesteuerte, kaum fingerlange Minibomben in die Luft schleuderte. Ich steckte eine Hand in die Tasche, begab mich an die Ecke des Gebäudes und dirigierte die Bomben zu den drei großen Fenstern, die in Bertils Wohnung im zwölften Stock auf die Straße gingen.
    Wenn ich Lyvia dadurch nicht in Gefahr gebracht hätte, hätte ich die Bomben durch die Fenster in das Appartement gelenkt und dort gleichzeitig explodieren lassen. So mußte ich jedoch die Sprengsätze unterhalb der Fensterbretter zünden und konnte nur hoffen, daß Lyvia sich nicht in der Nähe einer Fensteröffnung befand.
    Dann betrat ich das Gebäude und stieg mühsam in den zwölften Stock hinauf. Ich benutzte dabei die Nottreppe, um die unangenehmen Telekameras zu vermeiden, die sicherlich die Liftkabinen kontrollierten. So gelangte ich in den dunklen Rettungsraum der für eine rasche Räumung des Gebäudes bei einem Brand oder einem sonstigen Zwischenfall gedacht war, und öffnete die Tür einen Spalt breit. Die Tür zu Bertils Schlupfwinkel befand sich kaum drei Meter von mir entfernt auf der anderen Seite des Korridors. Ich nahm die vorletzte Minibombe aus der Tasche und dirigierte sie zu Bertils Tür. Dann holte ich fünf Sekunden lang tief Luft und erteilte meinem Gehirn den Code-Befehl zur Ausschüttung von Adrenalin für einen Kampf Mann gegen Mann. Die Sprengsätze mußten in Abständen von einer halben Sekunde explodieren, beginnend mit dem an der Tür, und es war gleich so weit. Erst jetzt begriff ich, daß es idiotisch von mir gewesen war, für diese Auseinandersetzung keine Waffe mitzunehmen; gegen die

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