L wie Liquidator
flüsterte sie, während der Lift am neunten Stockwerk vorbeifuhr, »aber das hatte ich bereits begriffen.«
»Das ist schon möglich«, stotterte ich, »aber du hast vielleicht nicht begriffen, daß sie jetzt auch deinen Skalp wollen.«
Ich wartete, bis Lyvia diese brutale Wahrheit in ihrer ganzen Tragweite erfaßt hatte, aber als ich weitersprechen wollte, unterbrach sie mich: »Schön, ich wirke vielleicht ein bißchen einfältig, aber auch das hatte ich begriffen. Warum würde ich sonst dieses abstoßende Insekt immer mit mir herumschleppen? Und warum hätte ich sonst dreihundertneunzig Kredite in der Schule für Unabhängige Sekretärinnen ausgegeben? Ich hätte nur ein einziges Wort sagen müssen, und Tito wäre deinen Angreifern an die Gurgel gefahren und hätte Gift verspritzt.«
Ich schluckte die Worte, die ich sagen wollte, schleunigst wieder hinunter und änderte meinen Tonfall.
»In Ordnung, aber von nun an tust du, was ich dir sage!«
Sie nickte, und zwei Sekunden später ging die Tür in das Atrium des Hotels auf. Ich nahm eine Münze aus der Tasche und klemmte sie zwischen die beiden Schienen, auf denen sich die Tür bewegte; in der Kadettenschule wurde dieser Trick in der ersten Stunde gelehrt, und ich hatte entdeckt, daß sein Ursprung auf einen antiken Text aus dem zwanzigsten Jahrhundert zurückverfolgt werden konnte. Dann packte ich Lyvia am Arm, und wir verließen das Hotel ohne sonderliche Eile durch das Hauptportal.
Von der unteren Terrasse des Duftenden Hügels, eines der besten multimodularen Restaurants von Lemmia, das dem Splendid genau gegenüber lag, sahen wir, wie Bertil und die beiden Humanoiden lässig aus dem Hotel schlenderten und in ein an der Ecke geparktes Luftkissenfahrzeug kletterten. Rot und Gelb gingen steifer als gewöhnlich, und Bertil drückte sich eine Hand auf die Nase; keiner der drei schien jedoch verärgert zu sein, weil sie sich die Beute hatten entgehen lassen.
Wenn meine Vermutung richtig war, hing dies mit der Tatsache zusammen, daß Bertil wußte, ich war jetzt vollkommen isoliert. Eine einzige Person konnte ihn über die gesamte Operation und über meinen Codenamen informiert haben, und ich mußte so bald wie möglich unserem lemmianischen Verbindungsagenten Jonas dem Doppelzüngigen einen Höflichkeitsbesuch abstatten.
Vorher mußte ich jedoch Lyvia in Sicherheit bringen und versuchen, weitere Lücken in meiner Tarnung zu vermeiden. Obwohl die derzeitige Kleidung meiner Sekretärin aus einer knielangen Hose und einer Art durchsichtiger Tunika bestand, die die Brust freiließ und auch das, was sie bedeckte, nicht verhüllte, wußte ich, daß diese Zusammenstellung auf Lemmia keineswegs Aufsehen erregen würde.
Während wir uns zu der polarisierten Kapsel im Duftenden Hügel begaben, erklärte mir Lyvia, daß sie mir von Nutzen sein konnte, ganz gleich, in welchen Schwierigkeiten ich mich befand. Sie hatte nicht umsonst – und im geheimen – die Schule für Unabhängige Sekretärinnen besucht und ein Vermögen dafür ausgegeben. Sie hatte sich dort angemeldet, sobald sie begriffen hatte, daß auch die Tätigkeit eines Antiquars gewisse Risiken einschließt; diesen Eindruck hatten ihr mein merkwürdiges, geheimnisvolles Verhalten und einige winzige Narben vermittelt, die sie gelegentlich auf meinem Körper entdeckte.
Ich konnte ihr natürlich nicht erklären, daß diese Narben die geradezu lächerlichen Überbleibsel von Wunden waren, deren Beschreibung allein sie entsetzt hätte.
Kaum waren Bertil und Genossen verschwunden, fiel mir ein, daß wir etwas essen konnten, während ich mir meine weitere Vorgangsweise zurechtlegte und Lyvia mir ihre gesamten Geheimnisse offenbarte. Ich bestellte also bei der Sensorzelle der Speisekarte das Essen für uns beide, während Lyvia mir die verschiedenen Angriffs- und Verteidigungsmethoden schilderte, die in der berühmten Schule von Madame Nigritte gelehrt wurden.
»Und dann«, fuhr Lyvia mit leuchtenden Augen fort, »haben sie mir Tito zugeteilt und mir beigebracht, wie man ihn verwendet. Sie haben mir versichert, daß er ein Insektoid rein organischen Ursprungs ist, seine Drüsen wurden jedoch verändert, so daß er ein schrecklich giftiges Alkaloid erzeugen und es mit den Krallen injizieren kann. Am Anfang empfand ich Widerwillen gegen ihn, aber sie haben immer wieder darauf hingewiesen, daß er ein vollkommen harmloses Tierchen ist, wenn man seinen Aggressionstrieb nicht durch ein Codewort
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