L wie Liquidator
französischen Seemannskostümen fingen die Seile auf und befestigten sie an Pollern. Mit einem Aufbrüllen der Maschinen brachte unser Kapitän das Schiff längsseits an den Pier. Die Matrosen legten eine Gangway aus, und die ungeduldigen Passagiere strömten geradezu auf den staubigen Pier hinab. Ich konnte ihre Ungeduld in dieser besonderen Nacht des Jahres verstehen. Aber ich ließ mir Zeit, richtete meine Krawatte und brachte mit leichtem Zupfen meine Manschetten in Form und wartete, bis das Gedränge um mich her nachgelassen hatte. Dann betrat auch ich den Pier, betrat die Insel der Toten.
Ein schlehenäugiges Mädchen wartete dort, begrüßte mich mit einem Lächeln. »Schöner Abend«, bemerkte ich und ging an ihr vorbei.
»Einen Augenblick, Sir …« Ich wandte mich verwirrt um. »Ihre Karte, Sir, sie bestehen darauf.« Für diejenigen, die für sie arbeiten, sind die Toten immer nur ›sie‹.
Ich zog die Einladungskarte aus meiner Smokingtasche und reichte sie dem Mädchen, bemerkte voll Abscheu die ›Totentanz‹-Zeichnungen, die den Kartenrand schmückten.
Wie doch die Toten ihre kleinen Scherze lieben! Wie der Name, den sie dem Meeresarm zwischen ihrer Insel und dem Festland gegeben haben: Acheron. Und das Leichenboot, das uns hierher als Fähre diente: Charon. Und dann die Insel der Toten selbst: Thanos. Ich meine aber, man sollte den Toten ihre Augenblicke der Selbstverspottung lassen, denn sie alle haben ja jene endgültige, grausame Verhöhnung des eigenen Ichs durchgemacht, den Tod.
Doch die Nacht war mild und voller Fröhlichkeit, und die Toten tanzten mit den Lebenden unter den Olivenbäumen am Acheron Walzer. Und entlang der Straßen in dem verfallenen Aussätzigendorf standen strahlende Buden und Pavillons, alle von zierlichen Papierlaternen erleuchtet, die in der Nachtluft raschelten. Ich sah zwei Menschen Hand in Hand an einem Tisch vor einer geborstenen Mauer sitzen, durch die eine Mimose wuchs. Auf dem Tisch eine dicke Kerze und eine Flasche Wein. Ich sah eine Band, sie spielte von einem Podium aus, das man im zerstörten Obergeschoß eines Ladens errichtet hatte. Das verblaßte Holzschild trug das Wort ›Fisch‹ auf Griechisch, und unter ihm auf der Straße tanzten die Leute Charleston.
Ein Mädchen drängte sich durch eine Gruppe lachender Partygänger und faßte meinen Arm.
»Verzeihung«, kicherte es und sah mir in die Augen. An seinem starren Blick erkannte ich, daß es tot war.
»Sie suchen jemanden?« fragte es gedehnt.
»Ja.«
»Ah, aber Sie haben keinen Drink. Du meine Güte!« Das Mädchen hob den Arm. »Kellner, was zu trinken!« Ein toter Kellner kam herüber, und ich nahm ein Glas von seinem Tablett.
»Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte …« Ich löste ihre Hand von meinem Ärmel, eilte weiter und mischte mich unter die Leute. Sie war eine Ausgetauschte. Ihre Augen verrieten es mir. Den Toten macht es Spaß, solche Spiele zu spielen. Zum Beispiel eine Nacht lang in den Körper einer anderen Person zu schlüpfen.
Ein Feuerwerk begann hoch über den alten Festungsanlagen seine Sterne zu versprühen, und die Leute riefen Ahh und Ohh, wie sie es eben so tun. Natürlich nur die Lebenden. Für die Toten sind derartige Dinge unter ihrer Würde. Ich blieb neben ein paar Mauerresten stehen, um von meinem Drink zu nippen und mir das Schauspiel anzusehen. Ein Mann stellte sich neben mich. Er hob sein Glas.
»Fröhliche Allerheiligen!«
Raketen zerplatzten in Rot und Blau.
»Was bringt Sie her?« fragte ich.
»Was glauben Sie? Mein Vater ist es. Er kam nach hier – warten Sie mal – ja, vor acht Jahren war das, als er rausfand, er hatte … Sie wissen schon. Wollte lieber durch den Scannerschuß umkommen als so, und wer kann’s ihm übel nehmen. Er war einer der ersten, wissen Sie, und seitdem bin ich ohne Ausnahme jeden Allerheiligenabend hier gewesen, um ihn zu besuchen. Komisch, er sieht tot viel besser aus als jemals lebendig.«
Ich lächelte höflich.
»Bei mir ist es die Frau«, sagte ich. »Es war die Leber. Komisch mit der Leber, es gibt in Wirklichkeit nichts, was man dagegen tun kann. Herz, Lungen, Nieren, sogar mit dem Gehirn werden sie fertig, aber bei der Leber – nichts. Meine Frau ist erst dieses Jahr hergekommen.«
»Ach, tut mir leid. Dennoch …«
»Das Familienvermögen hat ihr gestattet herzukommen. Eigentlich gab es nur zwei Alternativen, das hier oder Nagarashima. Sie wissen ja, wie voll die Wartelisten sind, seit diese Sache modern
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