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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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sein.«
    »Hören Sie«, unterbrach ich, »hören Sie, ich suche meine Frau, vielleicht können Sie mir helfen.«
    Ich beschrieb also meine Frau und erzählte der Toten, wie die kranke Leber an ihr gezehrt hatte bis zu dem Tag, als sie das Haus des Todes anrief und zwei Männer mit Metallkoffern kamen. Sie waren beide lebendig, aber es lag etwas Totes um ihre Augen, etwas wirklich sehr Totes. Sie hatten ihre Koffer geöffnet und die Geräte ihres Berufes herausgenommen und meiner Frau den Scannerschuß ins Gehirn gegeben, und das war alles, bis ich dann eines Tages heimkam und sie war fort. Fortgegangen nach Thanos, zusammen mit den Männern mit den toten Augen. Anfangs hatten wir einander geschrieben, aber dann waren die Briefe seltener gekommen und schließlich gar nicht mehr, und da beschloß ich, zu den Inseln der Toten zu fahren, um sie zu suchen.
    Die Frau nickte bitter.
    »So ist es immer«, sagte sie. »Unser Leben auf den Inseln ist bunt und leuchtend wie Flitterkram, aber wir langweilen, langweilen, langweilen uns, und gelangweilte Menschen tun merkwürdige Dinge zum Zeitvertreib.«
    Sie wandte sich um und wollte gehen, aber ich faßte ihren Arm, als sie sich bückte, um durch den niedrigen Torbogen zu steigen.
    »Haben Sie sie gesehen? Können Sie mir überhaupt irgendwie helfen?«
    Die Frau schüttelte den Kopf.
    »Gehen Sie nach Hause. Suchen Sie nicht nach Lebenden am Ort des Todes. Gehen Sie!«
    Draußen auf der Terrasse schritten unter lichtergeschmückten Bäumen maskierte Tänzer in würdevollem Menuett. Lächelnd und mich entschuldigend, schob ich mich hindurch, denn mir war, als hätte ich einen flüchtigen Blick auf meine Frau erhascht, wie sie gerade eine Treppe zur Festungsmauer hinaufhuschte. Tänzer fluchten stolpernd und strauchelnd, als ich an ihnen vorbeidrängte und mir mit den Ellbogen einen Weg bahnte, aber ich erreichte die Steintreppe noch eben rechtzeitig, um ein grünes Kleid aufblitzen und um eine Ecke der Felswand verschwinden zu sehen. Nach Luft schnappend eilte ich die Stufen hinauf und rannte den Wehrgang entlang. Verstört wichen mir ein paar aufgeschreckte Leute aus, wobei sie höflich vermieden, mich anzustarren.
    Da! Jetzt sah ich sie hinter einem Felsvorsprung auftauchen. Ich lief auf sie zu, und da stand sie, direkt vor mir, an die Brüstung gelehnt, und starrte über das Meer hinweg auf die fernen Hügel des Festlandes. Ich hielt an. Ich rief ihren Namen, einmal, zweimal, dreimal. Sie wandte sich um. Ich blickte ihr in die Augen. Und ihre Augen waren nicht tot.
    »Es tut mir leid«, höre ich mich noch sagen, »ich habe Sie mit jemandem verwechselt, Entschuldigen Sie bitte.« Ich erinnere mich noch, wie überrascht ich war über meine Geistesgegenwart in dieser Situation. Die Fremde schaute mich verwirrt an, und im gleichen Moment erinnerte mich die Art, wie sie ihren Kopf zur Seite neigte und leicht die Stirn runzelte, schmerzlich an meine Frau. Dann verflüchtigte sich der Ausdruck, und ich schaute erneut hin, und sie ähnelte ihr überhaupt nicht mehr.
    »Ich habe Sie mit meiner verstorbenen Frau verwechselt«, sagte ich. »Die ganze Nacht über muß ich Ihnen gefolgt sein. Ich hoffe, Sie haben keinen falschen Eindruck von mir bekommen.«
    »Ich hatte es bemerkt«, sagte sie, »aber die Toten und, um genau zu sein, auch die Lebenden, treiben merkwürdige Dinge am Allerheiligenabend.« Sie setzte sich auf die Brustwehr und tippte einladend neben sich auf den Stein. Ich setzte mich auch hin und lehnte mich zurück, streckte meine müden Beine aus.
    »Vorsicht!« sagte sie. »Da hinter Ihnen geht es scheußlich tief runter. Wäre doch unausdenkbar, wenn hier ein tatsächlicher Todesfall passierte!«
    Das brachte mich zum Lachen, und ich entspannte mich. Dann folgte ein langes, wohltuendes Schweigen.
    »Die Venezianer haben diese Festung erbaut«, sagte sie nach einer Weile und schaute zu den nackten Steinmauern der Bastion hoch, die über uns von den Felsen emporragte. »Sie haben sie gebaut, um die türkischen Piraten in Schach halten zu können, die ihnen auf ihren Handelsrouten das Leben schwer machten. Es nützte ihnen nichts, denn die Türken nahmen ihnen die Festung kurz nach dem Fall von Byzanz weg und behielten sie, damit sie nun ihrerseits die venezianischen Piraten in Schach halten konnten, die ihnen auf ihren Handelsrouten das Leben schwer machten. Sie behielten die Festung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs und den Reformen in Griechenland, und inzwischen war

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