L wie Liquidator
daß sie nicht mehr als die allgemein zugänglichen Fakten über ihren Gastgeber erfahren hatte: Daß mehr als die Hälfte aller Prospektoren, die auf den Asteroiden oder auf den Jupiter- und Saturnmonden nach Metallen suchten, mit Konzessionen seiner Interstellaren Bergwerks- und Förder-Gesellschaft arbeiteten, und daß er in zahlreichen anderen Unternehmen der Pharma-, Computer- und Antigrav-Industrie die Aktienmehrheit besaß. Freunde aus Journalistenkreisen hatten zwei Archivstreifen über ihn ausgegraben, die beide elf Jahre alt waren. Einer zeigte seine Bergung aus dem demolierten Wrack eines Segelautos; der zweite hielt fest, wie er ein paar Monate später das Krankenhaus verließ, an einen Schwebestuhl gefesselt.
Der Butler klatschte in die Hände. Eine Sektion der Wand schwang nach außen und gab den Blick auf einen Lift frei. »Verlangen Sie den vierten Stock, gnädige Frau! Mister Ashendene erwartet Sie bereits.«
Cimelas Miene verdüsterte sich ein wenig. Er schickte sie allein in die Höhle des Löwen?
Für kurze Zeit stellte sich fast normale Schwerkraft ein, aber das war vorbei, als die Kabine anhielt. Die Türen glitten zur Seite.
Cimela keuchte entsetzt. Vor ihr breitete sich unvermittelt die Mondlandschaft aus – eine Kratersteilwand, die in einem harten Muster aus Licht und Schatten schroff zur Sohle hin abfiel.
Einen Moment lang entging ihr das verschwommene Spiegelbild an der Innenseite der transparenten Fläche – das Orangerot ihres Jumpsuits loderte wie eine Flamme unter dem mahagonidunklen Gesicht und dem Samtschwarz ihrer kurzgeschnittenen Haare. Dann atmete sie erleichtert auf. Eine Schutzkuppel! Dennoch tastete sie verstohlen nach dem Polyplastik, als sie den Aufzug verließ.
»Sie sind hier völlig in Sicherheit«, sagte eine dunkle, volltönende Stimme.
Sie ging dem Klang nach und stand plötzlich in einem geräumigen Rundzimmer. Tische und Stühle schwebten über dem Leuchtboden, dazu ein Bett, eine Computerstation und ein mit Papieren und Minidisks überhäufter Schreibtisch. Cimela hatte jedoch kaum einen Blick für die Einrichtung. Jenseits der halbhohen Schränke und Regale – in denen richtig gedruckte und gebundene Bücher standen – erhoben sich die Kuppelwand und das Gitter, das den Meteorschirm bildete, beide so durchscheinend, daß die Illusion entstand, nichts würde den Raum vom Mondkrater trennen. Die Erde hing über dem Horizont, ein strahlender Saphir in der diamantenübersäten Mitternachtsschwärze. Nur mühsam riß sie sich von der Aussicht los und sah den Mann an, der im Schwebestuhl auf sie zuglitt.
Er streckte ihr die Hand entgegen. »Ich habe mich so darauf gefreut, Sie kennenzulernen!«
»Das gilt auch umgekehrt.« Seine Hand umfaßte mit kräftigem Druck ihre Finger. Augen wie Mondstaub glitten über sie hinweg, abschätzend, forschend. Wo in diesem Blick, in der sicheren Stimme, in den kantigen Zügen, dem graumelierten Haar und dem schimmernden Jumpsuit war der Mensch, der jene Gemäldesammlung angelegt hatte? »Ich bin sehr gespannt auf Ihr Vorhaben.«
»Trinken Sie eine Tasse Tee mit mir?« Er lenkte seinen Schwebestuhl zu einem Tisch, der dicht über dem Leuchtboden hing.
Cimela nahm die Tasse entgegen, die er ihr reichte, und ließ sich in einem Konturensessel nieder. Plötzlich durchflutete von irgendwoher Musik die Kuppel. Selbst ohne Holo-Track erkannte sie sofort ihr Requiem für eine Sterbende Welt. Getragene Baßklänge, die den Gesang der Wale darstellten, vermischten sich mit dem hellen Schmettern von Vögeln und den geschmeidigen Rhythmen von Raubkatzen. Den Hintergrund bildeten die Tierstimmen selbst – ein Zwitschern und Dröhnen, ein Heulen und Fauchen.
Ashendenes Mondstaub-Augen musterten sie immer noch. »Ich hätte nie gedacht, daß man Musik auf der Grundlage der DNS komponieren könnte. Vier Noten – das erscheint so eng.«
Sie zog eine Braue hoch. »Die Natur selbst benötigt auch nicht mehr als vier Stickstoffbasen, um Leben hervorzubringen.« Sie erwartete eine Antwort, aber er starrte sie nur stumm an. Der prüfende Blick versetzte sie plötzlich in Zorn. »Entspreche ich nicht Ihren Erwartungen?«
Die Mondstaub-Augen flackerten. »O doch … bis hin zur dunklen Hautfarbe!«
Sie zuckte zusammen. Konnte der Mann Gedanken lesen?
»Ich habe natürlich Erkundigungen über Sie eingezogen. Cimela Bediako, einunddreißig Jahre alt, ledig, geboren in Ghana, Vater Bio-Ingenieur, Musikstudium in Sidney, Lead-Sängerin und
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