L wie Liquidator
Arme und Beine amputieren. Ich nehme an, es war notwendig; sie schnitten das überflüssige und nutzlose Fleisch fort. Ich sollte froh sein, daß Herz und Lunge jetzt nur noch das Gehirn zu versorgen haben.
Meine Ohren sind tot gegenüber den Tönen des Meeres. Der Nebel beginnt sich etwas zu heben. Ich sehe nur Grau und Formen von Grau. Ich sehe graue Felsen und dunkelgraues Wasser und hellgrauen Sand. Ich sehe den Nebel, der übriggeblieben ist. Er ist grau.
Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich die ganze Vielheit subatomarer Partikel vor mir. Die Leptone [9] sind blau.
Ich glaube, bald werden sie mir den Kopf von meinem viel zu fleischigen Torso schneiden. Schließ ein unterstützendes System an, wirf die Knochen fort, leg das Gehirn bloß – und hier bin ich.
Es gibt Schwierigkeiten und Fragen, eine nahezu unendliche Reihe von Details. Das organische Gehirn ist von Natur aus chemisch. Das Bewußtsein ist eine Funktion von Neurotransmittern, die träge in die Synapsen eindringen, und mit einer derartigen Langsamkeit Informationen durch die feuchten, klebrigen, rosafarbenen Zellen tragen, daß ich menschlichen Wesen die Denkfähigkeit kaum abnehmen kann.
Mein neues Gehirn ist elektrisch; oder wird es jedenfalls sein, wenn die Veränderung abgeschlossen ist. Mein Gehirn: ein Netz aus ultradünnen Eiweißkörpern; kristallartige Verbindungsstränge, die bei der Berührung mit elektrischem Strom zu schwingen beginnen, sich zusammenkrümmen und wieder entrollen; und Informationen schlängeln sich mit einer Geschwindigkeit und Kraft an ihnen entlang, die jenseits des menschlichen Vorstellungsvermögens liegt.
Woher kennen die Neurophagen die Reihenfolge, in der die Neuronen ersetzt werden müssen? (Wie organisieren sich die einheitlichen Zellen einer sich teilenden Zygote; wie kommt es, daß sie zu unterschiedlichen Zellen werden: zu Haut-, Leber-, Nieren- oder Muskelzellen?) Wie werden Erinnerungen und Selbstbewußtheit erhalten? (Wie kann man den Stoff des Universums mit all seinen Bestandteilen erfassen? Wie wird das Hologramm erhalten?)
Wird Liebe erhalten?
Wenn ich mich an den Asteroiden gütlich getan habe, und mir, falls nötig, Teile des Jupiters einverleibt habe, werde ich weit weg von den Grausamkeiten meines Mitichs und endlich von der Seichtheit des Fleisches befreit sein. Ich möchte mich von diesem unflexiblen Körper befreien, damit ich wachsen kann. Sie haben mir gesagt, mein Gehirn würde eines Tages so groß sein wie der Mond. Der verfluchte Mond.
»Ich liebe dich, Mary.«
»Laß uns von hier verschwinden, bevor es zu spät ist!«
»Mehr als alles auf der Welt.«
»Vielleicht wäre ein wärmeres Klima gesünder für Matthew.«
»Mehr als …«
»Ich werde dich so bald nicht wieder besuchen können! Das weißt du doch, nicht wahr?«
»Hör zu, Mary! Ich kann dich nicht in deinem Staat, dem nebeligen Oregon, besuchen; diesem Staat der Verworrenheit, wo die Menschen so langsam denken – Hör mal, komm mit mir! Du mußt nur das Pulver nehmen und den tiefen, romantischen Abgrund überbrücken.«
»Ich hasse das, was du tust!«
»Möchtest du nicht auch ewig leben und so weise wie Jupiter werden?«
»Ich möchte, daß du mich wieder so liebst, wie du es früher getan hast; ich möchte dich unter dem vollen Mond am warmen Strand lieben, so wie in Hawaii.«
»Ich bin der Mond, Mary, und du entscheidest.«
»Zwing mich nicht dazu!«
»Nicht ich, du! Freier Wille – es sind deine Elektronen, und ich kann nicht einmal eine Synapse deines süßen, makellosen Gehirnes kontrollieren.«
»Du kannst mit diesem Experiment aufhören.«
»Kann ich das? Kann ich den Experimentator aufhalten? Ursache und Wirkung, drinnen-draußen. Soviel Rückkopplung; ich bin das Experiment, wie kann ich mich selbst stoppen? Es ist nicht mehr mit dem Willen zu beeinflussen, siehst du das denn nicht?«
»Oh, Jesus!«
»Wir sind die Schöpfer unserer Himmel.«
»Ich kann dir nicht helfen.«
»Die Leptone sind blau, und die Quarks tanzen zur Sternenmusik. Horch …«
Ich höre das Meer nicht mehr.
Ich vermisse den Klang des Meersalzes auf gerötetem Fleisch. Ich liebe den Strand und den Sand und die Wellen, die ich nicht sehen kann. Ich liebe den Schrei der Seemöwe, den ich nicht hören kann.
Mein Gehirn, das so oft vor Freude und Liebe entbrannte und häufig von der besten aller Frauen berührt worden ist, kommt mir seltsam und neu vor, wie die Morgensonne einem Neugeborenen vorkommen muß.
Eines
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