L.A. Woman
abfällige Bemerkungen.“
Roger: Das ist schlimm. Tut mir Leid.
Sie lächelte. „So schlimm ist es nicht.“ Sie nahm das Gespräch in dem anderen Chatroom nur noch mit einem Auge wahr. Ein paar neue Leute, die sie kannte, waren dazu gestoßen, und es hatte sich eine aufgeregte Debatte darüber entsponnen, ob Feyn nun Tabletten nehmen oder zumindest eine Therapie machen sollte, um seine Unsicherheit und Tendenz zur Internet-Sucht in den Griff zu bekommen. Außerdem diskutierten sie die Vor- und Nachteile verschiedener Antidepressiva und erzählten sich gegenseitig, wie lange ihre Therapien schon dauerten. Weil es in ihrer Familie nicht ü
blich
war, einen Therapeuten zu haben, konnte sie nicht viel dazu beisteuern.
Roger: Was genau ist passiert?
„Eine unserer Key Account-Managerinnen hat sie ziemlich hart rangenommen, so viel ist sicher, aber das ist noch keine Entschuldigung dafür, dass sie auf diese Art und Weise abgehauen ist. Davon abgesehen, dass jeder bei uns Unmengen von Überstunden macht, wenn es nötig ist.“
Roger: Selbst du?
„Vor allem ich!“ tippte sie.
Roger: Ich habe das Gefühl, dass du gestresster bist, als du zugeben willst. Sonst hätte dich ihre Frage nicht so aus der Bahn werfen können.
Judith fühlte, wie sie beim Lesen des Kommentars erstarrte. Eigentlich war es nicht ihre Art, Gefühle zu äußern, ganz im Gegensatz zu einigen ihrer Mitarbeiter, die ihre Verfassungsschwankungen stolz wie Verdienstorden vor sich her trugen.
Ja, ich bin tatsächlich so unglaublich beschäftigt und wichtig, dass ich so verrückt bin
schienen ihre Gesichter zu sagen. Aber nicht Judith. Sie war lieber kühl, kompetent, gefasst.
„Warum sagst du so was?“ tippte sie an Stelle ihrer üblichen Alles-in-Ordnung-Antwort. Sie wusste, dass Roger meist interessante Ansichten vertrat, vielleicht konnte er sie auf eine Idee bringen, die ihr selbst nicht eingefallen war.
Roger: Das liegt daran, wie du dich ausdrückst. So gefasst und kontrolliert.
Judith lächelte: „Genau so soll es auch klingen.“
Roger: Solche Leute haben aber üblicherweise alle möglichen privaten Dämonen, die sie verborgen halten.
„Ich nicht!“ sagte Judith laut, begann den Satz zu tippen, löschte dann die Buchstaben wieder und schrieb stattdessen: „Interessante Theorie.“
Nun, ich mag private Dämonen. Sie sind meist viel interessanter als die Fassade, die sie verdeckt. Und ich habe das Gefühl, dass du eine sehr interessante Person bist, Judith.
Judith las seine Nachricht mehrmals und versuchte, seinen Ton zu deuten. Sie hatte schon ein paar Mal erlebt, dass er mit anderen flirtete, wenn auch nie ernsthaft und meist auf deren ausdrücklichen Wunsch hin. Flirtete er mit ihr? Sie war sich nicht sicher, ob sie verärgert oder amüsiert sein sollte. Nein. Im Grunde fühlte sie sich geschmeichelt.
„Versuchst du, mich anzumachen?“ fragte sie.
Roger: LOL! Funktioniert es?
Judith lachte und blickte sich dann um, als befürchte sie, dass David unbemerkt nach Hause gekommen war und missbilligend über ihre Schulter blickte. „Nun, das ist schmeichelhaft, aber meinem Mann würde das gar nicht gefallen.“
Roger: Ich lebe in Atlanta, und du wohnst in L.A. So eine heimliche Affäre zwischen uns scheint mir irgendwie nicht … wahrscheinlich.“
Judith runzelte die Stirn. Er hatte natürlich Recht. Sie benahm sich lächerlich. Er war dreitausend Meilen entfernt. Selbst wenn er mit ihr flirtete, was für einen Unterschied machte das schon?
Roger: Judith? Entschuldige. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Es ist doch nur das Internet. Mir kommt es immer so vor, als ob das, was wir hier schreiben, gar nicht wirklich existiert. Tut mir wirklich Leid. Freunde?
Plötzlich kam sich Judith dumm vor. „Natürlich. Du kannst mit deinen Verführungskünsten ruhig weiter machen … irgendwie werde ich die Kraft finden zu widerstehen.“
Roger: LOL
Judith lächelte und fühlte sich besser, als sie es seit langer Zeit getan hatte.
Sarah begann ihren ersten Zeitarbeits-Job. Sie saß in einem fast leeren, abgetrennten Raum, in dem ein einfacher Computer, ein Telefon mit Kopfhörer-Set und ein uralter Taschenrechner standen. Bis ihr neuer Chef kommen und ihr die Details erklären würde, las sie sich noch mal die Jobbeschreibung durch. Sie konnte es nicht ändern, sie fühlte sich wie das neue Mädchen in der Klasse, weil die Leute hier sie entweder neugierig anstarrten oder komplett ignorierten.
Ist doch ganz egal, was sie von
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