L.A. Woman
verliebt zu sein.
„Das ändert aber nichts.“ Sie hätte gern ihren Kopf auf den Tisch gelegt und laut geweint.
Roger: Ich liebe dich auch, Judith. Und ich glaube nicht, dass das dumm ist.
Judith erstarrte und las die letzten beiden Sätze noch einmal. Und noch einmal. Sie blinzelte ihre Tränen weg. Irgendwie änderte das alles. Sie wusste zwar nicht, was sie tun sollte, aber er liebte sie auch. Sie liebten einander, aus irgendeinem Grund.
Roger: Ich wollte dir das schon sagen, als ich dein Bild sah, aber ich glaube, da warst du noch nicht bereit.
„Oh, Roger“, flüsterte sie und schrieb dann: „Und was machen wir jetzt?“
Roger: Ich weiß nicht. Ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt.
Judith wischte die Tränen ab, nahm eine Dose Kompaktpuder aus der Schublade und besserte ihr verschmiertes Make-up aus. Ihre Augen waren ein wenig verquollen, aber sie zweifelte daran, dass das irgendjemandem auffallen würde.
„Auf jeden Fall ist es schön zu wissen, dass es dich gibt“, tippte sie. „Es ist schön zu wissen, dass mich da draußen jemand liebt.“
Es war so bittersüß. Sie wurde geliebt. Sie liebte. Das musste reichen. Sie kam sich vor wie eine Prinzessin des vierzehnten Jahrhunderts, die sich in eine unmöglichen Liebesaffäre verwickelt hatte. Abgesehen natürlich von ihrem virtuellen Liebesspiel, aber daran wollte sie jetzt gar nicht denken.
Judith, du bist verrückt. Wie soll das denn weitergehen? Ein klammheimliches Abenteuer via Internet? Ein Quickie hinter geschlossener Bürotür, mit dir selbst? Hast du den Verstand verloren?
Aber es war ihr egal. Im Augenblick war sie glücklich.
Roger: Ich glaube, ich werde nach L.A. kommen, ich muss dich sehen.
Judith las den Satz, und das Glückgefühl, das wegen seiner Liebeserklärung durch ihren Körper geschossen war, verschwand, jetzt fühlte sich alles kalt und klamm an. „Du willst WAS tun?“ schrieb sie.
Roger: Ich fliege nach L.A. Wir müssen uns sehen. Wir müssen über all das sprechen.
„Aber … warum?“
Es dauerte lange, bis er antwortete.
Roger: Weil es das ist, was verliebte Menschen tun, Judith. Du kannst doch nicht wollen, dass wir einfach so weitermachen.
Judith klammerte sich an ihrem Computer fest, als ob sie Halt suchte.
„Du kannst nicht kommen. Mein Mann! Meine Familie! Was werden die denken?“
Roger: In die bin ich nicht verliebt. Was für einen Unterschied macht das schon? Willst du mich sehen?
Das konnte er doch nicht Ernst meinen! Sie hatten schließlich nur eine Cyberaffäre, nichts sonst …
Nein, das ist real. Merkwürdig und wahrscheinlich erbärmlich, aber real.
Sie hatte die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht, anderen zu gefallen. Sie wollte die perfekte Tochter sein, die perfekte Freundin und die perfekte Ehefrau. Die mustergültige Angestellte. Sie hatte ja noch nicht mal jemals etwas auf die Straße geworfen, sie überschritt beim Autofahren nie die Höchstgeschwindigkeit. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus, wie ihr Meditationslehrer ihr für Stresssituationen geraten hatte. Wann war sie überhaupt zum letzten Mal bei ihm gewesen?
Roger: Ich will dir nicht noch mehr wehtun … aber ich will dich mehr als alles auf der Welt sehen und spüren.
War sie wirklich in der Lage, so etwas zu tun? Würde sie es zulassen, dass aus dieser virtuellen eine echte Affäre wurde? Wollte sie das? Und wollte sie vielleicht sogar mehr als nur eine Affäre?
Roger: Judith, wenn du nicht willst, dass ich komme, werde ich das nicht tun. Es ist ganz und gar deine Entscheidung.
Sie tippte langsam und systematisch, dann starrte sie lange auf die Taste „Senden“. Sie biss sich auf die Lippe und schickte sie mit dem Gefühl los, dass eine andere sie geschrieben hatte. „Wann?“
14. KAPITEL
W hen The Music’s Over
„Richard?“ Sarah klopfte leise an die Tür. „Ich dachte, dass ich heute vielleicht etwas früher gehen kann. Ich habe eine Verabredung.“ Sie wollte sich schon abwenden, als Richards Stimme sie aufhielt.
„Oh, gut, dass Sie hier sind. Ich … nun, ich habe gehofft, ich könnte kurz mit Ihnen sprechen.“
Sarah betrat überrascht sein Büro. Vielleicht musste er ja auf eine Lesereise gehen, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, dass so etwas anstand. Vielleicht hatte Emily, seine Verlegerin, ihn angerufen, während sie selbst in der Mittagspause war. Solche Anrufe warfen ihn immer aus dem Gleichgewicht. Sie schaute schnell auf ihre Uhr
Weitere Kostenlose Bücher