Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
die klaustrophobischen Gedanken wieder an ihn heran und lähmten ihn. Du wirst gleich sterben. Du bekommst einen Herzinfarkt, dann ist es vorbei.
Jeb schaute den Gang entlang und die Wände verschwammen vor seinen Augen. Aber diesmal gab er nicht nach, sondern zwang sich, die Augen offen zu halten. Die Wände tanzten und ihm wurde schwindelig.
Ich darf jetzt nicht nachgeben! Ich muss aufstehen, Großvater.
Wider alle Vernunft stützte er die Hände ab und schob sich hoch, bis er keuchend auf seinen Füßen stand. Der Boden schien sich inzwischen in ein gigantisches Trampolin verwandelt zu haben.
Jeb machte den ersten vorsichtigen Schritt. Mit der rechten Hand an der Wand tastete er sich langsam vorwärts. Noch immer flutete die Angst in Wellen über ihn hinweg. Seine Hände zitterten, als er sie vor seine Augen hob. Sein Atem kam stoßweise, so als presse jemand seinen Brustkorb zusammen und hindere ihn daran, frei zu atmen. Und dann war da dieses Schwindelgefühl, das alles um ihn herum verschwimmen ließ. Jeb blickte den Gang entlang. Die Wände waren so dicht aneinandergerückt, dass nicht einmal ein Kind mehr hindurchgepasst hätte.
Das ist nicht real. Du bildest dir das nur ein.
Er konnte nicht mehr unterscheiden, was richtig war: Das, was seine Augen ihm zeigten, oder das, was er sich selbst einredete. Wenn die Wände noch weiter zusammenrückten, würde er zwischen ihnen zerquetscht werden.
Das ist nicht real.
Jeb biss die Zähne zusammen, bis sie knirschten.
Es kann nicht real sein. So etwas gibt es nicht. Dein Gehirn spielt dir etwas vor, schließ die Augen, blende alles aus und konzentriere dich nur auf dich selbst. Du bist stark, hast Jenna durch die Ebene getragen und mit ihr die Eiswelt durchquert. Irgendwo, vielleicht gar nicht weit von dir entfernt, wartet sie darauf, dass du zu ihr kommst.
Der Gedanke gab ihm Kraft und half ihm, Atem zu schöpfen. Eine Weile konzentrierte er sich darauf, seinen Körper wieder wahrzunehmen, den Boden unter seinen Füßen zu spüren, und als er schließlich die Augen öffnete, konnte Jeb wieder klar sehen. Er schnaufte, fühlte sich schwach, aber auch unheimlich befreit, so als habe jemand ihm eine schwere Last abgenommen.
Siehst du, alter Junge, es geht doch.
Jeb spürte, wie ein Lächeln über sein Gesicht glitt. Er war noch immer schwach, hatte wenig Kraft und keine Ahnung, wie er aus dem Labyrinth herauskommen konnte.
Langsam kehrten seine Instinkte wieder zurück. Während er sich mühsam fortbewegte, versuchte er sich zu sammeln. Von den anderen fehlte jede Spur und auch die Tore waren nicht zu sehen. Nichts war geschafft und womöglich nahmen die Schwierigkeiten noch zu, aber jetzt und hier war er fast so etwas wie glücklich. Er stand auf seinen Füßen und konnte sich dem Labyrinth stellen. Schluss mit dem Jammern und dem Kriechen. Er legte seine Hände trichterförmig um den Mund.
»Jenna?«, rief er, so laut er konnte. Immer und immer wieder.
H ast du das gehört?«, fragte Jenna und blieb abrupt stehen.
»Was gehört?«, meinte Mary.
»Na, den Ruf. Als riefe jemand meinen Namen.«
Jenna drehte sich langsam im Kreis und sie dachte mit einem Schauern zurück an die Ebene. Auch dort hatte jemand nach ihr gerufen – jemand, der ihre Stimme hatte, der aussah wie sie.
Doch diesmal klang die Stimme anders, sie klang wie … Mit einem Mal durchflutete Jenna eine ungeheure Erleichterung. »Das ist Jeb. Jeb! Leise und weit entfernt. Aber das muss er sein. Er ruft nach mir!« Jenna lachte befreit auf.
»Ich höre gar nichts.« Mary hielt inne und lauschte.
»Doch, doch, doch. Das ist er, ich bin mir ganz sicher.« Jenna rief, so laut sie konnte, Jebs Namen, doch als sie wieder innehielt, waren die Rufe verstummt. »Ob er mich gehört hat?«
Noch einmal rief sie nach Jeb.
»Okay, und was machen wir nun?«, fragte Mary
Jenna sah sie erstaunt an. »Was wohl? Wir folgen natürlich den Rufen! Sie kamen irgendwo aus dem Gang vor uns.«
»Und wenn das wieder eine Täuschung ist? So wie bei den Schritten und Davids Hilferufen.« Mary sah Jenna unsicher an. »Sonst müsste ich es doch auch gehört haben.«
Jenna wandte sich in die Richtung, aus der sie die Stimme gehört hatte. Sie runzelte die Stirn. Da war was dran, musste sich Jenna eingestehen. Eigentlich müsste Mary Jebs Rufe ebenfalls hören, denn so leise waren sie nun auch wieder nicht. Konnte es wirklich sein, dass sie sich täuschte? Dass ihr etwas vorgespielt wurde?
Plötzlich tauchten
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