Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
zurückgeblieben.«
»Freiwillig?«
»Nein.«
»Hat er noch … gelebt?«
»Ja.« In Leóns Blick stand Härte. Sonst nichts.
Eine Stille entstand zwischen ihnen. Da waren’s nur noch vier. Jenna biss sich auf die trockenen Lippen. Mischa mit seinen blonden Haaren und tiefblauen Augen war nun auch fort.
Mary hat um Mischa geweint. Ich sollte das auch tun, aber ich kann nicht.
Aber das spielte keine Rolle mehr, wenn dies wirklich Jebs ersehnte Heimat war. Und falls nicht, gab es hier zumindest Menschen, die ihnen weiterhelfen konnten. Daran wollte Jenna glauben. Daran musste sie sich festhalten, um nicht durchzudrehen.
Da meldete sich das erste Mal Mary zu Wort. Ihre Stimme klang krächzend und leise und Jenna musste sich zu ihr beugen, um sie zu verstehen. »Was ist … mit Kathy? Ich meine, sie war da. Sie hat es schon einmal geschafft wiederzukommen … und …« Mary brach ab.
Jeb schnaubte. »Ich glaube nicht, dass sie wiederkehren wird. Warum kommt dann nicht auch Tian zurück? Das ergibt doch alles keinen …«
Da unterbrach ihn León. »Sinn ergibt es vielleicht nicht. Aber ich habe sie auch gesehen.«
Jenna traute ihren Ohren nicht. Hatte sie sich den Schriftzug tatsächlich doch nicht eingebildet? Aber wie war das möglich? Jeb starrte León ungläubig an, aber auch Mary war sichtlich überrascht. Jenna musste schlucken und biss sich auf die Unterlippe. Sollte sie erzählen, dass sie den Schriftzug an der Wand entdeckt hatte? Würde das nicht alle anderen noch mehr beunruhigen?
Marys Stimme war kaum mehr als ein Hauch. »Du hast sie … gesehen?«
León zuckte mit den Schultern. »Kurz bevor sie mir im Gang entgegenkam, habe ich das Band von ihr gefunden. Wir sollten also auf Zeichen achten, erst dann würde ich anfangen, mir Sorgen zu machen.« Dann senkte er die Stimme, als würde er nur zu Mary sprechen. »Aber abgesehen davon haben wir von ihr nichts zu befürchten, glaub mir. Kathy wusste nicht mal mehr, wer sie war. Geschweige denn, was sie dort zu suchen hat. Und sie war verletzt. Ich glaube …«
Mary fasste ihn erschrocken am Arm. »Verletzt – am Bauch?« In diesem Moment durchfuhr Jenna ein schrecklicher Gedanke: Hatte Mary etwa doch …? Mary wäre niemals dazu fähig, versuchte sie sich zu beruhigen, als León mit einem Funkeln in den Augen langsam nickte.
»Woher weißt du, dass es eine Bauchverletzung war?«, fragte er sie, seine Stimme hatte einen lauernden Tonfall angenommen, von der Zärtlichkeit von eben war nichts mehr übrig.
Mary zuckte zurück und sah zu Boden. »Sie hat mich im Labyrinth angegriffen und dann … das Messer. Kathys Messer. Ich …«
Jenna schaute zwischen Mary und León hin und her. In Marys Gesicht spiegelte sich Schmerz und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Leóns Blick wanderte von Marys zarten, blassen Händen zu ihren dunklen Augen.
Wahrscheinlich wägt auch er ab. Genau wie ich, als ich damals Mary gefunden habe. War Mary überhaupt zu so etwas fähig?
Stumm standen die vier in dem verlassenen Hof, bis Jeb schließlich die Stille durchbrach: »Leute, wir sollten uns auf das konzentrieren, was vor uns liegt. Was hilft es uns, wenn wir grübeln und uns weiter um diese verflixten Geheimnisse kümmern, die hier an jeder Ecke lauern? Was zählt, ist, dass wir hier rauskommen, durch die Tore, dass wir … dass zumindest einige von uns überleben.«
Jenna atmete tief ein. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. Sie hatte es bis jetzt nicht für möglich gehalten, dass Mary in der letzten Welt die Wahrheit gesprochen hatte. Aber was nützte es, in dem zu graben, was hinter ihnen lag? Sie wandte den Blick von Mary ab. »Jeb, du hast recht. Also. Wo sind wir hier?«
Jeb deutete auf die Gebäude um sie herum. »Mir kommt vieles vertraut vor und ich erinnere mich wieder an Teile meines früheren Lebens. Und das ist doch schon mal ein Anfang. Vielleicht ist dies die ursprüngliche Welt, aus der wir stammen.«
León hatte seinen sorgenvollen Blick von Mary gelöst und drehte sich nun wie Jeb vorhin im Kreis. Er betrachtete die Wände, die Feuerleitern und Mülleimer, schließlich den Himmel. »Ja, mir geht es genauso.«
»Was tun wir jetzt?«, fragte Jenna in die Runde.
»Wir müssen rausfinden, wohin es uns verschlagen hat und ob uns Gefahr droht«, sagte León mit fester Stimme.
»Und wir brauchen Wasser, etwas zu essen«, warf Jenna ein. »Mary? Was ist mit dir?«
Sie hatte ihren Blick noch immer zu Boden gesenkt und
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