Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
zeigte nach oben.
»Vergiss nicht, wer deine Knarre hat«, zischte er. »Und jetzt weiter.«
»Ach ja, die Knarre, die hatte ich fast vergessen. Zuerst behauptest du, ich wäre dein bester Freund, und dann drohst du mir damit, mich abzuknallen. Wie passt denn das zusammen?«
León zögerte. Jetzt war nicht der Augenblick, solche Dinge zu klären, aber andererseits spürte er, dass er Loco nicht mehr lange kontrollieren konnte. Loco ließ sich von der Waffe nicht beeindrucken, aber sie brauchten ihn, um hier wegzukommen. Um überhaupt eine Chance zu haben.
Je länger sie durch die Nacht liefen, desto fremdartiger erschien ihm alles. Sicher, es war auch nicht sein Viertel, trotzdem fühlte es sich fremd an, hier zu sein. León hatte erwartet, wenn er in sein wahres Leben zurückkehrte, mehr Sicherheit zu verspüren, aber das Gegenteil war der Fall. Alle seine Sinne waren geschärft und seine Instinkte machten ihn unruhig und ungeduldig. Eine unerklärliche Wut hatte ihn erfasst und trieb ihn nun voran. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich im Zaum zu halten, und die Tatsache, dass er jemanden erschossen hatte, wenn auch nicht vorsätzlich, machte es auch nicht besser. Nein, der alte Selbsthass war wieder da und er trennte ihn von Mary und den anderen.
Ich werde zum Tier und dabei habe ich mir geschworen, es nie wieder so weit kommen zu lassen.
Er fluchte innerlich.
»Was ist jetzt mit dir und mir, hombre?«, fragte Loco. »Hast du mir was zu sagen?«
»Ich weiß genau, wer du bist. Ich kenne all die anderen aus der Gang. Ich weiß alles über euch. Euer Hauptquartier liegt in einem alten Keller, den man nur über eine abschließbare Stahlklappe und eine Leiter erreichen kann. Dort bunkert ihr euer Geld, Drogen und Waffen. Ich war oft genug dort unten mit dir, habe Gras geraucht und Tequila getrunken, den dein Alter in einer Öltonne brennt.«
Loco sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
»Ich weiß noch mehr. Deine kleine Schwester Maria starb im Alter von zehn Jahren und das macht dir heute noch zu schaffen, auch wenn du nicht darüber redest. Deswegen suchst du die Gefahr. Aber eigentlich suchst du den Tod und alle halten das für Mut und nennen dich den Verrückten.«
»Woher weißt du das alles?« Loco kam ganz nah, bis sich ihre Gesichter beinahe berührten. »Sag es mir!«
»Ich war dabei. Bei allem. Auf Marias Beerdigung stand ich neben dir.«
»Unmöglich«, zischte Loco. »Ich kenne dich nicht.«
»Und es ändert nichts daran, dass ich dich kenne. Wie auch immer, wir stecken gemeinsam in dieser Scheiße und müssen hier irgendwie rauskommen. Also lass uns weitergehen.« Er wandte sich zum Gehen, drehte sich aber dann noch einmal um. »Nur eines noch, Loco. Wenn du versuchst, uns reinzulegen oder abzuhauen, werde ich dich umlegen. Auch wenn du einmal mein bester Freund warst, ich werde es tun. Sei dir dessen bewusst.«
Loco sagte kein Wort und lief los.
Sie huschten durch die Nacht. Inzwischen eine gefühlte Ewigkeit lang. Sie durchquerten Hinterhöfe, kletterten über Zäune. Einmal trafen sie auf einen Schäferhund, der sie wie verrückt ankläffte, als sie an ihm vorbeiflitzten, und allen schoss der Schreck in die Glieder, aber der Hund war an eine kurze Leine gekettet und konnte ihnen nichts tun. Bevor sein Bellen sie verraten konnte, waren sie schon wieder weiter.
Wann immer sie an eine Kreuzung kamen und eine Straße überqueren mussten, rannten sie, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her. Mehrfach hörten sie Motorengeräusche und zwei weitere Male kreuzte ein Gangfahrzeug ihren Weg, aber es gelang ihnen knapp, rechtzeitig ein Versteck zu finden und nicht entdeckt zu werden.
Jeb brauchte dringend ein Zeichen, dass alles gut werden würde, aber inzwischen leuchtete der erste Schein des beginnenden Tages hinter den Fassaden auf und sie wussten noch nicht einmal, wie weit es noch bis zu dieser ominösen Kathedrale war. Jeb hatte den Verdacht, dass sich Loco mehrfach verlaufen hatte, aber sie konnten nichts anders tun, als ihm unermüdlich zu folgen. Als sie an eine Kreuzung kamen, wurde aus der Ahnung Gewissheit. Hier waren sie schon gewesen. Jeb gab ein Signal, dass sie anhalten sollten.
Die Anstrengung, aber auch die Anspannung der Flucht zehrte an ihnen, sie waren ausgelaugt.
Im Lichterschein glänzten Marys erhitzten Wangen unnatürlich rot. Um Jenna machte er sich wie immer Sorgen, aber sie beklagte sich nicht. Er selbst fühlte sich, als wäre er kurz vor dem Zusammenbruch,
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