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Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich

Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich

Titel: Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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einen Rucksack, der in dieser Umgebung durch seine Sauberkeit unnatürlich aussah. Jeb erkannte den Gegenstand sofort.
    Es war Leóns Rucksack.
    León hatte ihn in der ersten Welt verloren und später war er merkwürdigerweise an einer anderen Stelle wieder aufgetaucht. Jenna und er hatte ihn auf ihrem Weg zu den Toren gefunden, aber da er leer war, zurückgelassen.
    Nun hatte ihn eine Frau in der Hand, die sie nie zuvor gesehen hatten. Eine Frau mit seltsam spitzen Zähnen, die sie nun bleckte. Sie sah selbst aus … wie eine Kanalratte, dachte Jeb.
    Jeb presste warnend Leóns Namen zwischen den Lippen hervor, berührte Jenna vor ihm am Ellenbogen und nickte in Richtung der Frau. Das Signal wurde bis nach vorn zu León durchgegeben. Kurz darauf hörte er León leise fluchen, aber gleich darauf verstummte er wieder.
    Überall in der Halle schien man sie nun zu bemerken. Die Leute standen von ihren Lagern auf. Männer, Frauen, Greise und sogar Kinder. Schmutzige Gesichter mit tief in den Höhlen liegenden Augen wandten sich ihnen zu. Niemand sprach ein Wort, aber das Rascheln der Kleidung war wie ein bedrohliches Flüstern, als León den ersten Schritt nach vorn tat. Er hob seine leeren Hände an, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Hinter ihm folgten die anderen seinem Beispiel.
    Jeb versuchte, freundlich zu lächeln, aber seine angespannten Gesichtsmuskeln ließen das nicht zu. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, so als habe er etwas zu verbergen, bemühte er sich, den Menschen offen in die Augen zu blicken.
    Zurück schauten Menschen, die alles verloren hatten und vom Nichts lebten. Leblose Blicke in leblosen Gesichtern. Dumpfe Hoffnungslosigkeit stand darin.
    Jeb sah das Elend und konnte es nicht glauben. All der Schmutz, die Pusteln und die seltsam gebückte Haltung all dieser Menschen hier unten verwandelten die Kanalbewohner in Wesen, die nicht von dieser Welt zu sein schienen.
    Vor sich hörte Jeb, wie Jenna die Luft einsog und gleich wieder ausstieß. Jeb bemerkte, dass er unbewusst genauso atmete; der Geruch nach altem Schweiß, Dreck und ungewaschenen Körpern in der modrigen Halle legte sich wie ein dicker Stoff auf seine Lunge. Er versuchte, flach zu atmen, aber dennoch war der Gestank unerträglich.
    Jetzt bloß nicht husten oder niesen, redete er sich zu. Die Stille um sie herum war zerbrechlich und in dem Moment, wenn sie zerfiel, konnte alles Mögliche geschehen.
    Sie hatten die Halle fast zur Hälfte durchquert, als eine alte Frau sich ihnen in den Weg stellte. Sie schien mindestens hundert Jahre alt zu sein, ihren Falten und ihrem zahnlosen Mund nach zu urteilen, aber Jeb vermutete, dass das Leben hier unten die Menschen schneller altern ließ.
    Ihre Haare waren so schmutzig grau wie ihre abgewetzten Kleider. Sie hielt sich gebückt, sodass Jeb erst in ihr Gesicht schauen konnte, als sie direkt vor ihnen stand und den Kopf anhob. Jeb hielt den Atem an, denn die Alte lief langsam und schleppend an der Gruppe vorbei und machte vor ihm halt.
    Tausende von Falten hatten tiefe Risse in ein Gesicht gesprengt, das einmal jung gewesen sein mochte, nun aber wie ausgebleichtes Leder wirkte.
    Die Frau sah ihm tief in die Augen. Sie schwieg und ihrer Miene war nicht zu entnehmen, was sie dachte, ob sie ihnen freundlich oder feindlich gesinnt war. Jeb erwiderte ruhig ihren Blick, bewegte sich ansonsten aber nicht.
    Als sie mit seiner Musterung fertig war, humpelte sie zu Jenna und Mary. Dann wandte sie sich León zu. Lange starrte sie auch ihn an. Im flackernden Licht der Kerzen wirkten seine Tätowierungen fast lebendig. Sie schienen über sein Gesicht zu tanzen, so als wollten sie eine Botschaft auf seine Haut schreiben.
    Eine Minute verging, dann streckte die Alte eine knochige Hand aus und fuhr mit der Fingerspitze über die blauschwarzen Linien in Leóns Gesicht. Er rührte sich nicht.
    »Bist du ein Engel?«, fragte die Frau in die Stille hinein. Jeb hob überrascht den Blick. Er hatte sich vorgestellt, dass eine krächzende Stimme aus der Kehle dieser kruzeligen Alten kommen müsste. Doch ihre Stimme klang klar und jung.
    León sah sie offen an. »Nein, nur ein Junge, der nach Hause will.«
    »Dann geh«, seufzte die Alte und trat zur Seite.
    Jeb spürte, wie sich die angespannte Haltung der Menschen um ihn herum löste. Zwar bewegte sich niemand oder sagte etwas, aber er sah, wie Schultern herabsackten und Hände aus Jacken- und Hosentaschen gezogen wurden. Offensichtlich war die alte Frau so

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