Labyrinth 02 - Das Labyrinth jagt dich
Dunkelheit raschelte es immer wieder. Sie vermutete Ratten, die vor ihnen und dem Licht der Taschenlampe flohen. Hinter ihr ging Mary, León bildete den Schluss.
Die stickige Luft machte das Atmen schwer und bald schon brach ihr der Schweiß aus. Keiner sprach ein Wort. Stumm und verbissen marschierten sie durch die Dunkelheit.
Jenna dachte an das Chaos über ihren Köpfen in den Straßen von Los Angeles. Wo waren sie da nur hineingeraten? Was für eine Welt war das, wo so viel Gewalt und Tod herrschten? Und León? Hatte er den jungen Gangster wirklich so eiskalt getötet, wie es ihr vorgekommen war? Wie oft hatte er das schon getan?
Wirst du auch uns einfach abknallen, León, wenn es darauf ankommt? Wie lange bleibst du unser Freund?
Kurz wanderten ihre Gedanken zu Loco. Warum war er nicht bei ihnen geblieben? Nun hatten ihn wahrscheinlich die Muerte negra erwischt. Sie würden ein Exempel an ihm statuieren und allen Hijos blutig vor Augen führen, was es bedeutete, in ihr Hoheitsgebiet einzudringen.
Diese Welt, diese Zeit war grausam und Jenna wollte inzwischen nichts anderes mehr, als einfach nur von hier verschwinden. Sie blickte auf das tanzende Licht der Taschenlampe in Jebs Hand vor ihr.
Es war still hier unten, aber dann …
… hustete jemand.
Jeb blieb sofort stehen und wandte sich um. »War das einer von euch?« Jenna konnte die zittrige Angst in seiner Stimme hören.
Keiner von ihnen antwortete. Sie alle hatten es gehört – und auch Jeb musste klar gewesen sein, dass dies jemand Fremdes war.
»Da ist jemand«, sagte Jenna.
»Wer soll da sein?«, fragte Mary.
»Vielleicht verstecken sich noch andere Menschen hier unten.« León trat nach vorn. In seiner Hand glänzte matt die Waffe, die er Loco abgenommen hatte. »Wir gehen nachsehen. Bleibt hier«, sagte er und schaute Jeb auffordernd an.
»Oh nein«, erwiderte Jenna sofort. »Wir bleiben zusammen. Ich habe keine Lust, hier in der Dunkelheit rumzustehen und mir vor Angst in die Hose zu machen. Außerdem gibt es nur diesen einen Weg und zurück können wir nicht.«
»Okay«, sagte Jeb. »Dann alle gemeinsam, aber leise.« Seine Stimme klang etwas gepresst, aber erleichtert. Und er konnte sprechen. Jenna ahnte, dass auch er froh war, dass sich die Gruppe nicht aufteilte.
Jeb schirmte die Taschenlampe mit seiner Hand ab und leuchtete direkt vor sich auf den Boden. »Besser, niemand sieht uns, bevor wir wissen, was hier unten los ist. Seid ihr bereit?«
»Was machen wir, wenn da vorn Muerte negra lauern?«, wollte Jenna wissen.
»Das weiß ich auch nicht, wir …«
»Wir kämpfen uns den Weg frei!« Hart, erbarmungslos wie stets, sprach León aus, was alle wussten. Es gab keine andere Möglichkeit. Sie folgten dem Gang bis zu einer Einmündung in das eigentliche Kanalsystem. Im Schatten des Tunnels kauerten sie sich zu Boden und blickten hoch in einen höhlenartigen Raum, der ein wenig an eine Bahnhofshalle erinnerte. Grob behauene Steinwände umschlossen einen Knotenpunkt, von dem mehrere Abwasserkanäle in alle Richtungen abzweigten.
Der Boden bestand aus rauem Stein, war aber eben angelegt. Rechts von ihnen führte eine Metallleiter nach oben, ähnlich der Leiter, die sie benutzt hatten, um hinabzusteigen.
Hier drin gab es Licht. Nach der Finsternis im Gang mussten sie die Augen zusammenkneifen und erst allmählich begriffen sie, was sie sahen. Es machte sie sprachlos.
Sie waren nicht allein.
Unzählige Kerzen brannten auf dem Steinboden oder an den Wänden. In ihrem flackernden Schein konnte Jenna Dutzende von Menschen ausmachen. Junge und Alte, Männer, Frauen, Kinder.
Sie hockten oder lagen auf dem Boden, hatten Decken oder aufgerissene Pappkartons unter sich ausgebreitet. Die Gesichter bleich, ausgemergelt, von Krankheiten gezeichnet, viele von ihnen mit Pusteln oder roten Flecken bedeckt. Sie schauderte. Es waren Weiße, Schwarze und Hispanics. Hier unten gab es keine Rassentrennung, nur die Flucht vor der Oberwelt.
Jeb gab den anderen ein Zeichen und sie zogen sich ein Stück in den Tunnel zurück, bis sie außer Hörweite waren.
»Das sind doch keine Flüchtlinge?«, wisperte Jenna leise.
»Mole People«, gab León ebenso leise zurück. »Ich erinnere mich. Das sind Menschen, die im Untergrund leben, sich von Abfall und Diebstählen an der Oberfläche ernähren. Sie kommen nur nachts raus, niemals am Tag. Ihre Augen sind die Helligkeit nicht mehr gewöhnt und außerdem würden sie sofort auffallen.«
»Das
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