Labyrinth der Spiegel
über was reden.«
»Dann vergiss aber nicht, vorher aufzutauchen. Bis dann.«
»Tschüss, Schurka.«
Ich legte auf und sah Ljudmila Borissowna verlegen an. »War das zu lange?«
»Schon gut, halb so wild.« Die Alte winkte ab. »Wenn ich es richtig verstanden habe, war das geschäftlich, oder? Mit was handelst du denn?«
»Mit Bier«, sagte ich aufs Geratewohl.
»Ich habe früher ja auch gern ein Bierchen getrunken. Aber wer kann sich das bei den heutigen Renten schon leisten?«
»Ljudmila Borissowna, darf ich Sie dann vielleicht zu einem Bier einladen?«, schlug ich ihr aufgeräumt vor. »Ich habe gerade zufällig ein paar Proben im Haus!«
Etwas Besseres konnte mir gar nicht passieren. Andernfalls würde mich die Alte nämlich garantiert belagern und irgendwann mein Telefon benutzen wollen, zum Ausgleich für den erlittenen Schaden. Aber Leute mit schwachen Nerven sollten meine Wohnung besser nicht betreten.
»Ein Fläschchen könnt mir schon schmecken«, antwortete die Alte munter.
Als ich ihr eine Flasche Oranienbaum brachte, schickte mir die Jugend vom Treppenabsatz einen gierigen Blick hinterher. Kein Wunder! Die beiden Flaschen von Maniac dürften den vier kräftigen Kerlen wie Limo die Kehle runtergeronnen sein!
10
In den Schneehöhlen des Kühlschranks fand ich ein steinhartes Würstchen. An Konserven war nur noch eine Dose Sprotten da, die ich in einer Phase völliger Armut oder in einem nostalgischen Anfall gekauft haben musste.
Obwohl ich mich am liebsten sofort aufs Ohr gehauen hätte, machte ich mir erst noch das einsame Würstchen warm, kramte den Dosenöffner raus und baute zwei Flaschen Pilsener Urquell vor mir auf. Ein echtes Candlelight-Dinner, denn gerade flackerten Kerzen auf dem Monitor. Mein Bildschirmschoner. Und auch das Knistern des Lagerfeuers aus den Kopfhörern, das ich selbst jetzt noch vernahm, passte bestens.
Zum Teufel mit ihr, dieser Tiefe ! Zum Teufel mit dem Loser! Nun, in der realen Welt, kam mir die ganze Geschichte völlig absurd vor. Wenn der Loser die Karten morgen früh nicht auf den Tisch legte, würden Vika und ich den Raum mit den Bergen verlassen. Für immer. Sollte er doch den Hängen und Kiefern seine Märchen erzählen, die würden die bestimmt zu schätzen wissen.
Ich trank einen Schluck kaltes Bier und stieß ein leises, genussvolles Schnaufen aus. Dann machte ich mich über die Sprotten her. Penibel trennte ich den Deckel ab, um die Dinger mit der Gabel aufzuspießen …
Und wäre beinahe vom Stuhl gekippt.
Hundert Fischköpfe glotzten mich vorwurfsvoll an.
In der virtuellen Welt hätte mich so was nicht gewundert, aber hier, in der realen Welt …
Ich stocherte in den in Tomatensoße schwimmenden Köpfen herum und versuchte, wenigstens einen ganzen Fisch zu entdecken. Vergeblich. Da war jemand höchst akkurat ans Werk gegangen. Ich stellte mir eine Fischfabrik vor, direkt auf einem Kutter. Oder wurden die Sprotten erst am Ufer eingedost? Ein Fließband voll minderwertiger Ware. Die Arbeiterinnen, die vom Gestank der Fische und der stumpfsinnigen Tätigkeit schon halbverblödet waren. Da klaubte eine von ihnen eine leere Dose vom Band und fing an, sie ausschließlich mit Fischköppen vollzustopfen. Als Scherz.
Ich musste wirklich lachen, als ich die Dose erschaudernd wieder schloss. Das war’s dann wohl mit meinem Abendbrot. Trotzdem nahm ich der unbekannten Arbeiterin die Sache nicht krumm. Im Gegenteil. Irgendwie passte das.
Ich setzte die Flasche an und leerte sie in einem Zug.
Du willst ein Wunder, mein Junge? Einen intelligenten Rechner? Menschen, die direkt in den virtuellen Raum eintreten können?
Wach auf, mein Freund! Hier sind sie, die Wunder, die deine Welt zustande bringt! Bier, das dir vor der eigenen Tür weggeklaut wird, Sprottenköpfe, die dich mit stieren
Augen anglotzen, die Wohnung von der Alten nebenan, die gotterbärmlich mieft, die minderjährige Bande, die auf dem Treppenabsatz rumlungert, der Wasserhahn in der Küche, der ständig tropft.
Das ist das Leben. So banal und langweilig es auch sein mag. In deinem Helm, da erlebst du nur ein computer-und bewusstseinsgeneriertes Märchen. Nichts anderes als elektronischen Eskapismus.
Ich öffnete die zweite Flasche Bier, schnappte mir die Fischdose, ging auf den Balkon und kippte den Inhalt auf die Straße. Die streunenden Katzen würden heute Nacht ein Gelage haben.
»Wie unfein!«, tadelte ich mich selbst. Mein Hirn hatte genauso wie Windows Home abgespeichert, dass
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