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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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man Müll nicht aus dem Fenster werfen sollte.
    Aber im Unterschied zu Computern konnten wir Menschen auf Verbote pfeifen. Vom Balkon aus.
    Mit dem restlichen Bier ging ich zum Klo. Ich knöpfte den Sensoranzug auf und linste in die Flasche. Durst hatte ich keinen mehr.
    »Wozu dieser lange und mühselige Prozess?«, stellte ich mir selbst eine dieser Fragen und kippte den Rest des Biers ins Klo.
    Ich trottete zum Sofa und schaltete das Licht aus. Wie lange konnte man wohl über den Tisch gebeugt schlafen, mit einem elektronischen Kochtopf auf dem Kopf? Es war leise, sehr leise. Sogar die Teenies auf der Treppe hatten es aufgegeben, ihre Gitarre zu malträtieren.
    Nur der Rechner surrte noch, und auf dem Bildschirm leuchteten die Kerzen.

    Ich drehte mich um und vergrub das Gesicht im Kopfkissen. Aber der Schlaf wollte nicht kommen. Dort, in der Tiefe , lag der reglose, tote Körper des Revolvermanns. Ob er sich ohne mich langweilte? Dem Ganzen haftete zumindest ein Hauch von Verrat an.
    »Ein letztes Mal!«, stöhnte ich und stand wieder auf. Ich stülpte mir den Helm über und stöpselte den Sensoranzug ein. Meine Finger legten sich auf die Tastatur.
    Deep.
    Enter.
     
    Im Schlaf schmiege ich mich an Vika. Sie brummt etwas und dreht sich auf die andere Seite. Obwohl ihre Stimme kaum zu hören ist, wache ich auf.
    Sie schläft also auch in der Tiefe .
    Das Lagerfeuer ist mittlerweile runtergebrannt. Bestimmt tagt es bald, auch wenn es noch ziemlich dunkel ist. Der Loser liegt völlig reglos etwas abseits. Soll ich dir mal einen richtig schönen Tritt verpassen, Kumpel? Um herauszukriegen, ob du bei uns bist oder ob du die Tiefe verlassen hast und dich in deinem warmen weichen Bett ausschläfst?
    Ich sehe hoch zum Himmel, dieses schwarze funkelnde Kristall. Was habe ich zu Vika gesagt? Der virtuelle Raum hat uns den Himmel genommen.
    Jawohl. Genommen. Geklaut. Und je größer die Zahl der Menschen in der Tiefe , desto weiter weg sind die Sterne.
    Dabei geht es natürlich im Grunde nicht um die Sterne. Was ist denn mit all denen, die sich die Tiefe überhaupt
nicht leisten können? Depressive Jugendliche, die keine Arbeit finden, die Frauen aus der Fischfabrik … Am Anfang stehen Fischköpfe, die sie reihenweise in eine Dose stopfen. Ein Scherz? Oder ein lautloser Schrei? Ein Protest? Am Anfang stehen Fischköpfe. Aber dann rollen Menschenköpfe.
    Müssen wir mit einem neuen Maschinensturm rechnen? Einem Aufstand gegen die Rechner, die für normale User immer mysteriöser und erschreckender werden? Oder werden wir doch noch eine Lösung für dieses Dilemma finden?
    Ich drehe mich um und starre auf den Loser. Wenn du eine netzgenerierte Intelligenz bist, wenn du ein Mensch bist, der die virtuelle Welt bezwungen hat, dann kannst du uns diese Lösung aufzeigen. Dann kannst du die Barrikade durchbrechen, dann kannst du für uns einen Ausweg aus der Sackgasse finden. Und Dibenko – falls es sich bei dem Mann Ohne Gesicht wirklich um ihn handelt – hat genau das verstanden.
    Soll ich da wirklich weiter den edlen Retter spielen und den Loser schützen?
    Wo er unsere Rettung ist?! Wo er eine Fusion der Welten ermöglicht?!
    Keine Ahnung. Ich bin nur ein stinknormaler Mensch, der zufällig mit dieser idiotischen Immunität gegenüber der Deep-Software geschlagen ist. Damit verdiene ich mir mein täglich Brot, manchmal sogar ein nettes Stück Butter und Kaviar dazu. Aber ganz bestimmt bin ich nicht derjenige, der die Welt rettet, der entscheidet, was für diese Welt gut ist und was schlecht.

    Denn ich habe nichts außer dieser komischen, althergebrachten Moral, über die Vika die Nase rümpft. Und mit der Moral muss man tatsächlich vorsichtig sein: Sie gibt dir nie eine Antwort, im Gegenteil, sie hindert dich, eine zu finden.
    Es ist viel leichter, ein Heiliger oder ein Dreckskerl zu sein als ein richtiger Mensch.
    Ich fühle mich klein und verloren. Wahrscheinlich kommt sich ein Sportler aus der Provinz, der in die Olympiamannschaft aufgenommen worden ist und gegen Champions kämpfen soll, genauso vor. Diese Aufgabe ist einfach eine Nummer zu groß für mich.
    Plötzlich hört man einen Laut am Himmel.
    Ich drehe mich auf den Rücken, um zu dem schwarzen Kristall hochzuspähen. Er hat einen Riss bekommen, so dass sich ein blauer Streifen übers Firmament zieht. Ein blendender, gerader Pfeil, der in die Tiefe saust.
    »Was ist das, Ljonja?«
    Vika hat sich bereits aufgesetzt und streift sich die Haare aus dem Gesicht.

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