Labyrinth der Spiegel
Wann ist sie aufgewacht?
Und wann bin ich eingeschlafen?
Was ist um uns herum, Traum oder Wirklichkeit?
»Ein Meteorit«, antworte ich Vika.
Der blaue Pfeil wandert immer weiter nach unten. Der dünne Triller bildet den Schweif, ein Flammenknäuel am Ende die Spitze.
»Da fällt ein Stern«, stellt Vika sehr ernst fest. In dem Moment begreife ich, dass ich immer noch schlafe.
Der Loser rührt sich nicht.
Nun erreicht der Meteorit die Erde und bohrt sich in sie hinein. Der blaue Streifen erlischt, denn der Himmel versteht es, seine Wunden zu heilen. Nur dort, wo der Stern die Berge berührt hat, lodert noch ein fahles Feuer.
»Du hast versprochen, dass wir den Stern suchen«, bringt Vika heraus.
Wie einfach im Traum alles ist. Ich stehe auf und strecke ihr die Hand entgegen. Wir steigen über den Loser und klettern den Hang hinunter. Irgendwie ist das alles verkehrt, weil du die Sterne doch oben suchen müsstest, aber mit deinen Träumen legst du dich besser nicht an.
Die blaue Flamme funkelt im Gras, setzt aber nichts in Brand und wirft keinen Schatten. Der Stern ist in einen Talkessel zwischen zwei Hügeln gefallen. Etwas weiter hinten beginnt eine Felsformation, die völlig fremd wirkt und aus einer anderen Welt gerissen zu sein scheint. Das ist aus irgendeinem Grund sehr wichtig, doch momentan haben wir nur Augen für den Stern.
Die reine Flamme, eine flauschige Feuerkugel, die so klein ist, dass sie in deine Faust passt.
Ich strecke beide Hände aus, berühre den Stern und spüre seine Wärme. Es ist eine zarte Wärme, fast als hätte ich meine Hände der Frühlingssonne dargeboten.
»Jetzt weiß ich, was die Sterne sind«, sagt Vika. »Es sind Splitter des Taghimmels.«
Als ich den Stern aufheben will, hält Vika mich zurück. »Nicht. Er ist sowieso schon müde.«
»Wovon?«
»Von der Einsamkeit, von der Stille …«
»Aber jetzt sind wir doch da.«
»Noch nicht. Wir sind hierhergelangt, aber das ist erst der halbe Weg. Lass ihm Zeit, uns zu vertrauen.«
Ich zucke die Achseln, ich kann mich einfach nicht mit Vika streiten. Ich möchte sie anlächeln, aber sie ist schon nicht mehr da. Nur ihre Stimme ist geblieben.
»Ljonja! Wach auf!«
Was soll das! Wieso soll ich …?
»Ljonja! Der Loser ist weg!«
Ich reiße die Augen auf.
Es ist Morgen.
Im Osten schimmert rosafarbenes Licht.
Vor mir sehe ich Vikas erschrockenes Gesicht.
Der Loser ist nicht mehr am Lagerfeuer. Der Schlaf ist ein ausgezeichneter Falschspieler.
»Scheiße!«, schimpfe ich und springe auf. »Wann ist er abgehauen?«
Vika streicht ihre Haare zurecht, mit der gleichen Geste, die ich im Traum gesehen habe.
»Ich weiß es nicht, Ljonja. Ich bin eben erst aufgewacht, da war er schon weg.«
»Wie kann er es wagen?«, zische ich, während ich mich umsehe. »Wie kann er …?«
Der Loser ist geflohen. Er hat sich einfach aus der Tiefe davongemacht. War also alles umsonst?
Nein, nicht alles. Denn seinetwegen habe ich Vika getroffen.
»Er hat uns zusammengebracht«, spricht sie aus, was ich denke. »Wenigstens dafür sollten wir ihm dankbar sein!«
Ich umarme sie, vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar. Wir stehen lange so da, inzwischen wird es immer heller,
die Schneemütze jenes einzelnen Riesengipfels funkelt und zerteilt den Himmel. Hier gibt es keine Vögel, wahrscheinlich hat Vika vergessen, sie zu designen. Aber die Berge sind auch ohne sie lebendig, sind erfüllt vom Rauschen des Windes, dem Rascheln der Blätter und Gräser.
»Ich werde für diese Berge Vögel zeichnen«, flüstere ich. »Falls es uns gelingen sollte, deine Hütte wiederaufzubauen …«
»Ich will die Berge nicht ändern, sie sind frei!«, widerspricht Vika prompt.
»Vögel sind auch frei. Ich setze sie einfach ins Fenster und sage ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch!«
»Na, von mir aus.« Vika lacht leise. »Du kannst es ja mal probieren!«
»Was heißt hier probieren?«, kontere ich. »Ein einfaches Programm, ein paar Studien von Brehm und ein Algorithmus für ihr Verhalten. Als Erstes zeichne ich Finken und Spatzen, dann kommen Geier. Eine ganze Biogeozönose … so heißt es doch, oder? Ich hab’s vergessen, aber ich glaube, in der fünften Klasse haben wir das gehabt, in Naturkunde.«
»An dir ist ein Biologe verlorengegangen. Und, werden die Pantoffeln des Magiers auch in deinem Ökosystem herumflattern? Ljonja, lass uns auftauchen! Und uns in irgendeinem Restaurant wiedertreffen. Bist du schon mal im Rose-Atoll
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