Labyrinth der Spiegel
gewesen?«
»Nein.«
»Das ist nett. Schulz und Brandt haben es designt. Ich lade dich ein.«
»Okay. Aber erst müssen wir …«
»Was?«, fällt Vika mir scharf ins Wort.
»Den Loser suchen.«
»Er hat die Tiefe verlassen, geht das nicht in deinen Schädel rein?!«
»Doch. Trotzdem können wir ihn doch suchen, oder? Vielleicht ist er nur mal pinkeln gegangen – und dabei in eine Felsspalte gefallen?«
»Würde ihm recht geschehen!«, knurrt Vika, obwohl sie einwilligt.
Als Erstes laufen wir die nähere Umgebung ab und spähen in alle Ritzen und Winkel. Danach nimmt sich Vika die linke Seite des Bachs vor, ich die rechte. Unwillkürlich sucht mein Blick jenen Talkessel, wo ich im Traum den Stern gefunden habe. Irgendwo mache ich dann tatsächlich eine komische Felsformation aus.
Aber darum kann ich mich jetzt nicht kümmern. Zunächst muss ich mich vergewissern, dass der Loser weg ist.
Dafür klettere ich sogar den Hang ein Stück rauf, pirsche mich auf unseren Spuren zurück. Was man nicht alles für ein ruhiges Gewissen tut …
In einer schmalen Ritze, über die wir gestern im Tageslicht mühelos drüber gesprungen sind, finde ich den Loser.
Schweigend stehe ich da und fixiere ihn von einem Felsvorsprung aus, der drei Meter über ihm liegt. Zwei Minuten verstreichen, ehe der Loser mich bemerkt und den Kopf hebt. »Guten Morgen, Revolvermann.«
Ich hülle mich weiter in Schweigen. Selbst für einen Wutanfall fehlt mir die Kraft.
»Im Dunkeln sieht man nicht so gut«, hält der Loser einen in seiner Genialität und Novität erstaunlichen Gedanken fest.
Im Grunde war es gar nicht so hoch, er hat einfach Pech gehabt. Selbst von hier oben sehe ich, dass sein rechtes Bein geschwollen ist. Der Loser sitzt auf dem Boden und versucht, es möglichst nicht zu bewegen.
Ich lange nach den Latschen des Magiers, die hinter dem Gürtel stecken, ziehe sie an und schwebe hinunter.
»Tut mir leid«, entschuldigt sich der Loser, als ich ihn hochhebe und mit ihm aus der Felsspalte aufsteige.
»Weshalb hast du das getan?«, will ich wissen.
»Um euch die Entscheidung abzunehmen. Ich kann euch sowieso nichts erklären.«
»Du bist ein Idiot. Nachts klettern nur Selbstmörder durch die Berge … oder der Schwarze Alpinist.«
»Ich bin noch nie in den Bergen gewesen. Und wer ist dieser Schwarze Alpinist?«
Bis zu unserem Rastplatz ist es ein ganzes Stück. In der Zeit schaffe ich es, dem Loser das Märchen vom Schwarzen Alpinisten und von jener Gesellschaft zu erzählen, die in Ballkleidern und Smokings in die Berge gezogen ist. Zum Nachtisch kriegt er sogar noch ein paar Geschichten aus der Realität serviert.
Als wir Vika erreichen, ist mein gesamter Vorrat an Berglegenden erschöpft. Unter ihrem frostigen Blick setze ich den Loser auf den Kiefernzweigen neben dem Lagerfeuer ab. »Was ist besser als eine Tour durch die Berge ohne Ausrüstung?«, knurre ich. »Wohl nur ein Bergspaziergang mit einem Verletzten auf dem Arm!«
Ich bin sehr gespannt, wie sie darauf reagieren wird.
»Gib mir den Gürtel«, befiehlt Vika.
Diese Aggressivität hätte ich nicht von ihr erwartet.
»Vika, wenn du den Warlock einsetzt …«
»Quatsch! Du minderbemittelter Diver! Ich brauche einen Riemen!«
Da ich mein Hemd angesichts der tückischen Bergsonne nicht unbedingt in Streifen reißen möchte, gebe ich Vika das schwarze Halstuch.
Während sie am Bein des Losers herumhantiert, schüttelt sie jedes Mal finster den Kopf, sobald er bei der leisesten Berührung aufstöhnt.
»Ein Unterschenkelbruch«, diagnostiziert sie. »Offenbar ohne Dislokation. Komisch.«
»Bist du nebenbei auch noch Ärztin?«
»Nein. Krankenschwester, mit Berufserfahrung. Wir brauchen noch einen Riemen.«
Also muss ich, auch wenn es schlechter Stil ist, das Jackett auf nackter Haut zu tragen, mein Hemd doch opfern, damit wir eine Schiene für das Bein vom Loser basteln können.
»So ein Idiot ist mir noch nie untergekommen!«, zischt Vika nun in ihrer Wut. »Kein Blödmann auf der Welt hat es bisher geschafft, sich im virtuellen Raum das Bein zu brechen! Wie sieht das jetzt in der Realität aus, Loser? Na? Hast du dir da auch das Bein gebrochen?«
»Nein«, murmelt der Loser.
»Wenigstens etwas.«
Wir sehen einander an. Von unserer gestrigen Entschlossenheit ist kein Funke mehr übrig. Es ist eine Sache,
einen Falschspieler in der virtuellen Welt seinem Schicksal zu überantworten – und eine ganz andere, einen Verwundeten in den Bergen
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