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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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geht es doch nur noch um völlig banale Dinge. Alle wollen kaufen, aber niemand kümmert sich mehr um seine Rolle. Es zählen nur noch Stärkepunkte, dann überall diese
Barden und Zauberkünstler … Ist doch alles Schrott! Das musst du doch selbst zugeben!«
    »Wollen Sie das Schwert einmal ausprobieren?«, fragt mich der Händler freundlich.
    Ich werfe einen Blick auf Cappy. Sein Gesprächspartner ist anscheinend eine Autorität unter den Rollenspielern. »Was schlägst du denn stattdessen vor?«, will er gerade wissen.
    »Mir ist völlig klar, was in dieser Situation zu unternehmen ist«, kanzelt Cappy ihn ab. »Aber was ist mit dir? Weißt du, was zu tun ist?«
    »Nein, danke«, wende ich mich dem Händler zu. »Mich trennt noch ein langer Weg von den hundert Punkten.«
    Ich verlasse den Laden und gehe zu Vika, die ihren einstigen Kunden nicht bemerkt zu haben scheint.
    »Was hast du denn da drinnen noch gesucht?«, erkundigt sie sich.
    »Das Leben.«
    »Und? Hast du es gefunden?«
    Ich zucke die Achseln.
    »Also nicht.«
    Als wir an dem nächsten Barden, einem weiteren Zauberkünstler und an fechtenden Frischlingen vorbeikommen, wird mir etwas klar.
    In dem, was Cappy den Mädchen im Puff oder hier den Elben in Lórien sagt, steckt doch ein wahrer Kern. Denn Wahrheit ist nichts anderes als Zynismus in Tarnkleidung.
    Vermutlich ist auch das ein Ziel. Sich vorzunehmen, ausschließlich die Wahrheit zu sagen. Und so ziehst du durch die Tiefe und streifst dir angewidert den Dreck der
menschlichen Unzulänglichkeiten von den weißen Manschetten. Leidest für die Wahrheit und entlarvst die Lüge.
    Und all das aus einem einzigen Grund.
    Weil du unfähig bist, die Menschen zu lieben.
    Sicher, auch ich muss lachen, wenn ich sehe, wie die Jungen in dieser Welt virtuelle Schwerter schleifen, die Zwergensprache lernen und mit Leere handeln. Aber Cappy geht noch einen Schritt weiter. Einen ganz kleinen nur. Er liebt nicht. Niemanden.
    Weder den geheimnisvollen Loser noch den dummen kleinen Hobbit, die virtuelle Nutte Vika, den Händler im Laden, den Barden mit der Gitarre, den Werwolf Romka oder den Mann Ohne Gesicht.
    Niemanden.
    Und wer wollte ihm das verübeln? Bei all den Fehlern, die sie haben. Du findest immer einen Grund, auf jeden einzelnen von ihnen sauer zu sein. Genauer gesagt, nicht sauer zu sein, sondern ihn einfach nicht zu lieben.
    Es kommt mir vor, als habe ich eine schmale und schwere Tür geöffnet und würde durch sie in eine andere Welt spähen. Eine Welt in sterilem Weiß, herabgefahren auf den absoluten Nullpunkt. Eine tote und saubere Welt – genau wie ein Prozessor im Rechner.
    »Vika«, flüstere ich. »Vika …«
    Warum wollen wir den Loser retten? Wozu dieser ganze ermüdende Aufwand?
    »Vika …«
    Sie sieht mir in die Augen, und ich blicke durch ihre Elfenmaske hindurch, blicke hinter das von goldenen Locken gerahmte, blasse feingliedrige Gesicht.

    Und erblicke die normale, die echte Frau.
    Meine Vika.
    Der ich nichts zu erklären brauche.
    »Sag: Ich liebe!«, fordert sie mich auf.
    Ich schüttle den Kopf. Das schaffe ich nicht, denn noch hänge ich dort, in diesem kalten Weiß einer absurden Wahrheit, fest. Und Wahrheit und Liebe – sie sind unvereinbar.
    »Sag: Ich liebe!«, insistiert Vika. »Du kannst es.«
    Da treffe ich meine Wahl.
    »Ich liebe«, flüstere ich kaum hörbar.
    »Meine Freunde und meine Feinde …«
    »Meine Freunde und meine Feinde …«, spreche ich ihr nach.
    »Und ich liebe dich«, sagt Vika.
    Lórien ist eine ruhmreiche Stadt.
    Hier lacht niemand über einen Menschen und einen Elfen, die sich am Stadttor umarmen.

110
    Was gibt es Schöneres, als über einen schneebedeckten Weg zu wandern, über den vor dir eine ganze Armee gezogen ist?
    Wenn du dich garantiert nicht verlaufen kannst?
    Wenn es überall dezente Hinweise auf chaotisches Leben um dich herum gibt?
    Hier eine Kiefer, die mit Pfeilen gespickt ist. Vielleicht haben die Elben den Baum für einen Spion gehalten, vielleicht ist aber auch ein Streit entbrannt, wessen Blick schärfer, wessen Hand ruhiger ist. Wohl eher Letzteres.
    Ein paar Spuren führen vom Weg ab. Da sind auch zwei kleine Häufchen Tabakasche. Sofort hast du zwei Alte vor Augen, die sich zurückgezogen haben, um ein Pfeifchen zu schmauchen, während die Armee vorbeimarschiert ist. Einer war vermutlich ein Magier, mit einem Stab in der Hand, der andere ein Schwertkämpfer, denn da finden sich auch die Spuren der Waffen, runde vom Stab

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