Labyrinth der Spiegel
jemand auf.«
»Das wünsche ich mir auch manchmal«, rückt Vika nach langem Schweigen mit der Sprache heraus. »Allerdings habe ich das schon mal erlebt. Und das war auch nicht immer angenehm.«
So sieht die Sache also aus, Diver.
Was hast du denn gedacht?
»Gehen wir, Ljonja!«, verlangt der kühne Elf MacKrele. »Wir müssen den Loser finden!«
Schließlich erreichen wir die Mauer, die Lórien umgibt.
Hier gibt’s schon mehr Leute. Unter der Aufsicht der elbischen Weisen erwirbt ein Dutzend Frischlinge Stärkepunkte, indem es mit dem Schwert kämpft und Pfeile auf eine Zielscheibe abfeuert. An den Läden, in denen Händler ihre Skill-Punkte erarbeiten, schlendern Käufer vorbei. Auch sie sammeln Punkte. Ein zerlumpter Künstler fertigt
auf Wunsch Porträts an, ein Zauberkünstler, vermutlich ein niederer Magier, jongliert mit Feuerkugeln. Das Leben brodelt. Ein Junge, ein Mensch in grüner Elfenkleidung, spielt Gitarre und singt dazu:
Ein fahrender Barde am Tore Einlass begehrt,
Den die junge Dienerin ihm auch nicht verwehrt.
Da die kleine Gruppe von Zuhörern sich nicht sonderlich begeistert zeigt, bricht der Barde die Ballade ab, lässt seinen Blick über die Menge schweifen und stimmt einen Spottvers an:
Ein Elb mit Namen Legolas,
Tritt dem Nazgûl auf die Nas’!
Der Nazgûl kurz noch winkt,
Bevor er dann im Fluss ertrinkt.
Dieses schlichte Liedlein gefällt der Menge schon wesentlich besser. Lachend applaudiert sie dem Barden und wirft ihm kleine Münzen zu.
Wir spazieren weiter.
»Brauchen wir noch was?« Vika blickt in Richtung der Läden.
»Hast du denn Geld?«
»Guck mal in deine Taschen.«
Ich stecke die Hand in die Jackentasche – und stoße in der Tat auf fünf Münzen.
»Die kriegst du automatisch, sobald du Lórien betrittst«, erläutert mir Vika. »So habe ich es jedenfalls gehört.«
In einem der Läden kaufen wir nach einer hitzigen Feilscherei mit dem Händler zwei Flaschen des hiesigen Weins und zwei Kurzdolche. Wir haben zwar nicht die geringste Absicht, uns in den Kampf zu stürzen, könnten also auf Schwerter, Lanzen und Hellebarden, die überall verkauft werden, getrost verzichten. Trotzdem verlangt es mich nach Waffen. Wahrscheinlich ist das bei Männern genetisch bedingt. Vika wirft mir einen tadelnden Blick zu und verlässt den Laden. Ich inspiziere noch die Vitrinen, in denen jene Gerätschaften ausgestellt sind, mit denen meinesgleichen sich ausrottet. Es herrscht Halbdunkel, nur in den Vitrinen brennen neben den Waffen Kerzen. Auf den Schneiden spiegelt sich ihr blutroter Widerschein. Mir fallen die Blumenhändler ein, die im Winter Kerzen in ihre Aquarien mit Blumen stellen.
Leben und Tod – sie sind sich so ähnlich, ihre Gewänder kaum zu unterscheiden.
In einer Ecke des Ladens sitzen an einem Tisch zwei Männer. Da ich sie nicht kenne, gehe ich erst an ihnen vorbei, bleibe dann aber abrupt stehen.
Der gedrungene Kerl in weißer Kleidung erinnert mich an jemanden …
»Ist doch zum Kotzen!«, poltert er hinter mir. »Nur billiger Schund! Schrott! Wo man hinguckt, alles verkommt!«
Ein solcher Ekel hat mich zuletzt in meiner Kindheit gepackt, als ich in einem Fluss gebadet habe und beim Auftauchen direkt vor meinen Augen am Ufer eine dicke, fette Kröte gesehen habe.
Ich drehe mich um. Der Kerl rückt das auf die Augen gerutschte Basecap zurecht. Und zieht weiter vom Leder!
»Früher waren deine Rollenspiele noch was Besonderes! Da steckte ein gesunder Kern in ihnen. Aber heute! Da kommt erst das Fressen – und dann kommt gar nichts mehr!«
»Hör mal, jetzt übertreibst du aber!«, verteidigt sich der Typ, der neben Cappy sitzt. »Man muss der Jugend schließlich auch was bieten.«
»Ich sage immer, was ich denke. Und ich sage die Wahrheit«, erklärt Cappy unumstößlich. Mit einem Mal wird mir klar, dass das nicht nur dahergesagt ist. Das ist keine Phrase, Cappy glaubt das wirklich. Er meint, er habe die Wahrheit gepachtet.
Puh!
»Genau deswegen hast du auch keine Freunde«, erwidert der andere.
»Pah! Freundschaft ist sowieso eine Lüge. Das begreifst du, sobald du einmal die Dynamik ihrer Entstehung unter die Lupe nimmst.«
Da ich neben einer der Vitrinen stehen geblieben bin, stiefelt jetzt der Händler auf mich zu und deutet mit dem Finger auf das Schwert. »Das ist eine sehr, sehr gute Waffe! Aber Sie können sie nur kaufen, wenn Sie bereits einhundert Skill-Punkte haben!«
Cappy gibt nach wie vor keine Ruhe. »In diesem Spiel
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