Labyrinth der Spiegel
Schritt, dann noch einen.
»Tut es weh?«, frage ich mit der Neugier eines echten Arztes.
Er schüttelt den Kopf.
»Dann lass uns in die Stadt gehen.«
»Und dann?« Der Loser schielt zu Vika hinüber, die jedoch nichts antwortet.
Also bleibt das an mir hängen. »Da wirst du eine Entscheidung treffen müssen. Die Zeit, wo du aus dir ein großes Geheimnis machen konntest, ist jedenfalls vorbei.«
Unsere Rückkehr nach Lórien wird nicht gerade als Triumph gefeiert. Die Wachposten am Stadttor blicken uns verächtlich an, schließlich sind wir erst vor ein paar Stunden aufgebrochen und haben es offenbar nicht geschafft, die Armee einzuholen. Obwohl sie sich jeden bissigen Kommentar verkneifen, setze ich doch zu einer Erklärung an: »Er hat uns überredet, noch ein wenig zu üben«, sage ich und deute mit dem Kopf auf den Loser. »Bisher sind wir ja nicht von großem Nutzen.«
Diese Erklärung ist nicht schlechter als jede andere auch. Sollen sie uns ruhig für eingebildete Newbies halten – die gerade noch rechtzeitig Reue gezeigt haben.
»Ist das Lórien?«, erkundigt sich der Loser, als wir an den schneeweißen Bäumen vorbeigehen, in denen sich Leitern dahinziehen wie Girlanden in einem Weihnachtsbaum.
»Genau. Wir kommen jetzt gleich auf eine Straße, und da treffen wir dann eine endgültige Entscheidung«, bemerke ich beiläufig.
»Ich kann euch nichts erklären«, erwidert der Loser.
»Dann müssen wir uns trennen. Ernsthaft, mein Freund.« Das ist keine Lüge und auch kein Erpressungsversuch. Ich muss untertauchen. Muss mich für lange und öde Zeiten in die tiefste Provinz absetzen, in irgendein Kaff, wo man Rechner Compis nennt. Und Vika muss ihr Geschäft wiederaufbauen.
Vika linst mich an, sagt aber kein Wort. Sie weiß und versteht, dass ich weggehen muss.
Der Loser legt den Kopf in den Nacken, um den von Malornen durchbohrten Himmel zu betrachten.
»Wenn du willst, bleib hier«, schlage ich vor. »Du musst ja nicht demnächst die Telefonrechnung bezahlen, oder?«, frage ich.
»Nein.«
»Und du brauchst auch nicht in die Realität zurückzukehren, um etwas zu essen, oder?«
Er hüllt sich in Schweigen.
»Du sammelst jede Menge Punkte und wirst ein cooler und respektierter Spieler«, überlege ich laut. »Irgendwann komme ich doch mal vorbei und sage: ›Wo finde ich denn den weisen Alien?‹ Vielleicht bist du dann bereit, mir zu sagen, wer du bist.«
»Ich habe auch nicht viel Zeit, Leonid.«
»Erzähl mir doch nichts! Was sind für dich schon ein oder zwei Jährchen? Nach hundert Jahren … Stille ?«
Der Loser bleibt stehen. Wir messen uns mit Blicken.
»Ihr habt irgendwie vergessen, mich in diese Geschichte einzuweihen, Jungs«, durchbricht Vika das Schweigen.
»Oh, Vika, das ist ganz einfach. Wenn du das Unmögliche ignorierst, muss das Unwahrscheinliche wahr sein.«
Selbst der Loser ist perplex.
Irgendein Glied fehlt noch in dieser langen Kette von Bedingungen, die ihn zum Sprechen bringen.
»Hauen wir hier ab«, verlange ich. »Wir wollen doch die armen Elfen nicht in Verlegenheit bringen … denn wir werden nie ein Teil ihres Märchens.«
Lórien verlässt du durch den gleichen Gang, durch den du es betrittst. Nur dass der Greis uns diesmal keine Frage stellt.
»Triff eine Entscheidung, Loser«, sage ich, als ich die Tür öffne. »Das war kein Witz! Diese Geheimniskrämerei hängt mir echt zum Hals raus!«
Und erst als wir hinausgehen, begreife ich, dass die Entscheidung doch ich treffen muss.
Der Mann Ohne Gesicht wartet fünf Meter vorm Ausgang auf uns. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt und glotzt uns mit dem Nebel unter seinem aschgrauen Haar an. Der schwarze Mantel schlappt auf das dreckige Straßenpflaster.
Und er ist nicht allein.
Drei Bodyguards mit MPs in der Hand stehen hinter ihm, zwei weitere schweben in etwas größerer Entfernung in der Luft. Ihren Flug verdanken sie nicht einer so ironischen Methode wie den geflügelten Latschen des Magiers, sondern schlicht den Jet Packs auf ihrem Rücken. Sie befinden
sich höchstens zwei, drei Meter überm Boden, die Szene erinnert mich an ein altes Spiel aus prävirtueller Zeit.
»Bravo, Diver«, bringt der Mann Ohne Gesicht heraus.
Vika hat sich als Erste wieder im Griff.
»Waren das deine Schergen, die mein Geschäft zerlegt haben?«, fragt sie aggressiv.
Der Nebel unter dem Kragen des schwarzen Mantels wabert in Vikas Richtung. »Wirf erst mal einen Blick in deine Bücher, Kleines,
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