Labyrinth der Spiegel
Verdacht, dass Vika sich auch etwas Mut angetrunken hat.
»Und was bist du? Ein Er oder eine Sie?«
»Diese Details habe ich nicht designt, dazu war keine Zeit«, tut Vika alias MacKrele die Frage ab. Sie wirft die Zigarette weg. »Das entscheiden wir dann spontan.«
Uns noch weiter vor dem Gebäude herumzudrücken wäre pure Zeitverschwendung. Als wir die Bruchbude betreten, erwartet uns ein schmaler, dunkler Gang. Die Wände sind mit Schlachtlosungen beschmiert. Am Ende des Ganges schimmert ein weißes Licht, hinter dem die Figur eines Menschen zu erahnen ist.
»Wer seid ihr?«, spricht uns die Figur an.
»Wir haben den Ruf des edlen Legolas vernommen und sind herbeigeeilt, ihm zu helfen!«, antworte ich.
»Bleibt, wo ihr seid! Wie lauten eure Namen?«
»MacKrele von den lichten Elfen am See Loch Ness!«, stellt Vika sich vor.
»Der Heiler Sedativum aus dem Lande Tranquillien.«
Vika boxt mich in die Seite, aber da ist es schon zu spät. Der Name ist ausgedacht und ausgesprochen.
Der Mann, der sich hinter dem Licht versteckt, denkt nach. »Ihr seid gemeinsam hergekommen?«
»Ja«, antwortet Vika. Sie übernimmt jetzt das Kommando, was mir nur recht ist. Ich bin nicht in der Verfassung, mir etwas auszudenken und unserem Gegenüber nach Strich und Faden das Hirn zu pudern.
»Wie kommt es, dass ein lichter Elf … eine Elfin … ein Elfenwesen und ein Heiler der Menschen Freunde sind?«
»Ich wurde im Kampf gegen die Orks von einem Eibenpfeil schwer verwundet!«, ruft Vika. Sie gibt ihr Geschlecht nach wie vor nicht preis. »Wenn die wundertätige Kraft Sedativums nicht gewesen wäre, dann würde ich jetzt nicht vor dir stehen, Unbekannter!«
Es kostet mich enorme Mühe, keine Miene zu verziehen.
»Und du, Sedativum? Warum hältst du dem Elfen die Treue?«
»Jene Bande fieser Zwerge, die die unterirdischen Hallen gebaut hat, hat mich hinterhältig überfallen!«, fabuliere ich in Erinnerung an die Geschichte des kleinen Hobbits. »Wenn MacKrele nicht so kühn gewesen wäre, dann … dann …«
Da ich nicht weiß, wie ich den Satz zu Ende bringen soll, schlage ich die Hände vors Gesicht. Ein lautloses Lachen ist leicht mit Weinen zu verwechseln.
Ein alter Mann tritt aus dem Licht in den Gang. Seine Bewegungen sind jedoch so forsch, seine Stimme so jung, dass er höchstens zwanzig sein kann.
»Ich freue mich, den weisen Heiler und den kühnen … die kühne …« Er gerät ins Stottern. »… den kühnen Elf willkommen zu heißen! Ihr seid nun außer Gefahr!«
»Vielen Dank«, flüstere ich.
»Du, weiser Sedativum, bekommst zehn Skill-Punkte, dazu je fünf für Ausdauer und Stärke«, teilt mir der Alte mit. »Und du … äh … MacKrele bekommst zehn
Skill-Punkte, dazu je zehn in Ausdauer, Stärke und Tapferkeit.«
»Warum bekomme ich keine für Tapferkeit?«, empöre ich mich.
»Als ob du, ein Mensch, überhaupt Tränen vergießen könntest!«, höhnt der Alte. Doch da macht sich MacKrele für mich stark, an der (oder dem) der Hüter offenbar Gefallen gefunden hat.
»Sedativum hat heiße Tränen um seinen älteren Bruder Analgetikum geweint, als dieser durch die dreckigen Pfoten der Zwerge gestorben ist!«
Puh! Jetzt übertreibt Vika aber!
Zum Glück hat der junge Greis keinen blassen Schimmer von Pharmakologie. Oder er hat Humor.
»Gut, du sollst fünf Tapferkeitspunkte erhalten«, billigt er mir großherzig zu. »Begebt euch jetzt in die ruhmreiche Stadt Lórien und sammelt Kraft für die alles entscheidende Schlacht.«
Auf seine Geste hin treten wir in das Licht ein. Nun bemerken wir am Ende des Ganges auch eine massive Eisentür.
»Einen älteren Bruder hab ich also auch noch, ja?«, flüstere ich hinter Vika.
»Reg dich jetzt bloß nicht auf!«
Dann gehen wir durch die Tür hinaus nach Lórien.
Geschlagene zwei Minuten sehe ich mich einfach bloß um. Das ist wirklich verdammt schön!
Gigantische Bäume mit schneeweißer Rinde. Blätter von dunklem Grün und purpurrotem Gold. Die Wege sind
mit weißen Steinen gepflastert. In den Bäumen sind Hütten errichtet, die durch hölzerne Leitern und Brücken miteinander verbunden sind.
»Keine schlechte Arbeit«, merkt Vika aus Profisicht an. »Und wenn du bedenkst, dass sie das alles aus purem Enthusiasmus geschaffen haben!«
Ich könnte erwidern, dass sie ihre Welt mit den Bergen ebenfalls aus purem Enthusiasmus kreiert hat, aber an dieses Land, das möglicherweise für immer verloren ist, will ich sie lieber nicht
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