Labyrinth der Spiegel
Programmen basiert und über schwache Rechner läuft.
Das Absurdeste ist, dass ich hundertprozentig echt bin. Mit meinem Hemd, dessen Ärmel im Kampf zerrissen worden ist, und den zerkratzten Händen. Ich halte mir eine Hand vors Gesicht: Da ist jedes Härchen, da ist der Dreck unter den Fingernägeln und die an den Knöcheln abgeschürfte Haut zu erkennen.
Ein Mensch, der in einen Zeichentrickfilm geraten ist.
Ich fange an zu zittern. Das ist etwas Neues, dergleichen hat es noch nie gegeben. Was hat das Deep-Programm mit mir gemacht, als es in dieser unendlichen Schlaufe gelaufen ist?
Was habe ich mit ihm gemacht, als ich aus dem Wahnsinn aufgetaucht bin?
Hinter mir höre ich ein Geräusch. Ich drehe mich um. Ein Bus fährt über die Straße, ein großes Vehikel, fast ganz aus Glas. Er ist ziemlich sorgfältig designt, sogar die Räder drehen sich. An den Fenstern kleben die karikaturhaften
Gesichter von Erwachsenen, Kindern und Alten, an der Seite prangt das Logo vom Deep-Explorer.
Ich stehe da, atme tief ein und betrachte die reglosen Gesichter. Klar, wie sollte es auch anders sein? Mimik kriegen nur die hoch entwickelten, für feste Klienten gedachten Programme zustande. Das hier sind jedoch Touristen.
Der Bus hält an, die Leute steigen ungelenk aus. Zuerst ein Typ in einem knallroten Overall. Das ist der Fremdenführer. Die Männer gleichen einander wie ein Ei dem anderen und tragen Anzug und Krawatte, nur der einzige Schwarze in der Gruppe hat eine Jeans und eine Weste an. Die Gesichter sind genauso aufgesetzt harmlos wie bei den zweitrangigen Schurken in Zeichentrickserien für Kinder. Die Frauen warten mit Schmuck und prachtvollen Kleidern auf, die wesentlich besser designt sind als ihre Gesichter. Es folgt eine Herde von karikaturhaften Kindern mit Kulleraugen und schließlich die Gruppe der Greisinnen und Greise in Shorts und mit Fotoapparaten.
Als Letztem wird einem Jungen im Rollstuhl herausgeholfen.
»Hey!«, ruft mir der Fremdenführer zu und winkt mich herbei. Sein Mund öffnet und schließt sich, Mimik bringt er aber nicht zustande.
»Hallo!« Ich ringe mir ein Lächeln ab.
Der Mitarbeiter des Deep-Explorers, mit dieser Begrüßung zufrieden, dreht sich zu seinen Schutzbefohlenen um. »What attracts you most?«
Ein leises Zischen, danach ist der Fremdenführer kaum noch zu verstehen. Stattdessen erhebt sich nun eine
schnarrende, irgendwie bekannte Stimme: »Was interessiert Sie in diesem Viertel, in diesem Teil Deeptowns am meisten? Wir können ein tolles …« Eine Pause. »… bekanntes, berühmtes Zentrum des Buchhandels ansehen, in dem jede Art von Literatur …« Eine weitere Pause. »… Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und Printmedien, die noch aus der Epoche, Zeit …«
Ich reiße die Augen auf wie ein Kind, das seinen geliebten Plüschteddy aufgeschlitzt und in seinem Innern schmutzige Lappen, zerknülltes Papier und eine ungewaschene Socke gefunden hat.
Was habe ich das Übersetzungsprogramm von Windows Home immer geschätzt! Wie begeistert bin ich von der Schnelligkeit und Präzision gewesen, mit der es zwischen den fünf Sprachen in Deeptown wechselt!
Schnell ist es, das stimmt. Aber die Präzision garantieren allein unsere Hirne, die aus dem Wortbrei die Schlüsselwörter filtern.
»Dann gibt es noch, sind hier gelegen die tollen, beliebten Restaurants, Gaststätten Artus’ Schwert und Vier – Zehn . Wenn wir einhundert Meter oder ein bisschen mehr durch die 43. Straße gehen, laufen, dann kommen wir zum Vergnügungsviertel für Erwachsene, Volljährige.«
Unter den Touristen macht sich ein leichter Aufruhr breit, den man wohl als begeistertes Lachen interpretieren soll.
»Sie haben zwei Stunden freie Zeit«, verkündet der Fremdenführer.
Ich glaube, mir ist klar, wo ich bin. Diese nichtssagende graue Kuppel da hinten, das ist sicher die tolle, bekannte,
berühmte Buchhandlung. Sie trägt den Namen eines amerikanischen Präsidenten, der den Bau gesponsert hat.
Wenn ich in der 43. Straße bin, befinde ich mich am anderen Ende der Stadt. Das wird ja ein hübscher Spaziergang! Doch als ich erschrocken auf die Uhr sehe, verflüchtigt sich meine Panik.
Das Elbenreich haben wir vor gerade mal zwanzig Minuten verlassen!
Die Touristen zerstreuen sich. Familien besuchen Restaurants, Alleinstehende fast ausnahmslos die Amüsierviertel für Erwachsene. Der Junge im Rolli sucht in Begleitung einer grauhaarigen Alten und des Schwarzen die Buchhandlung auf. Der
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