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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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Fremdenführer holt eine Zigarre von beeindruckender Größe heraus, die garantiert teuer war und viel besser gezeichnet ist als sein Gesicht. Er beißt die Spitze ab, raucht sie an und schlendert auf mich zu.
    Sieht so meine Zukunft aus?
    Habe ich diesen Sieg über die Tiefe gewollt?
    Nein.
    Ich bin gern bereit, mich weiterhin zu täuschen. Eine Stadt und Menschen zu sehen, nicht diese Kombination aus Kinderzeichnung und primitivem Zeichentrickfilm. Ich richte nicht über diese Welt, beobachte sie nicht gleichgültig von außen. Ich bin ein Teil der Tiefe , Fleisch vom Fleische Deeptowns.
    Ich bedecke mein Gesicht mit den Händen und spähe ins Dunkel. Ich weiß nicht, wen ich bitten soll, die Tiefe oder mich selbst. Trotzdem bitte ich.

    Tiefe, Tiefe, sei mein …
    »Willst du eine Zigarre, mein Freund?«, fragt mich der Fremdenführer freundlich.
    Lächelnd hält er mir eine Zigarre hin. Sein roter Overall ist halb aufgeknöpft, aus der Brusttasche lugen ein Kugelschreiber und ein Notizblock heraus. Ich könnte schwören, dass die eben noch nicht da gewesen sind. Das Gesicht wirkt offen, einnehmend und gut. So sehen Leute aus, die unerfahrene Newbies in die Tiefe geleiten.
    »Danke, ich rauche nicht.«
    Es ist alles in Ordnung, es ist alles genau wie früher.
    Sogar besser.
    Ich bin dein, Tiefe . Ich kann ein echter Mensch im echten Deeptown oder ein echter Mensch in einer Zeichentrickstadt sein. Vielleicht kann ich auch eine Zeichnung sein, die zwischen den echten Bewohnern Deeptowns herumläuft.
    Danke, Dimotschka Dibenko. Du wolltest mich aus dem Spiel werfen. Vielleicht sogar umbringen.
    Aber irgendwas ist schiefgegangen.
    Ich ahne sogar, was. Das war der Loser. Er hat mir einen Teil jener Kraft gegeben, über die er selbst gebietet.
    Also gilt mein Dank eigentlich ihm.
    »Dann nicht.« Der Fremdenführer nimmt mir die Ablehnung seines Angebots nicht übel. Er steckt die Zigarre zurück in die Tasche. »Du bist ein alter Hase im virtuellen Raum, oder?«
    »Richtig«, gebe ich zu.
    »Ich bin Kirk«, stellt er sich mir vor. »Und? Sehe ich ihm ähnlich?«

    Vermutlich denkt er an eine bestimmte Spielfigur. Oder jemanden aus der modernen Folklore. So oder so, für die schlicht gestrickte amerikanische Massenkultur habe ich mich nie interessiert.
    »Nicht sehr«, antworte ich deshalb aufs Geratewohl.
    »Genau das war meine Absicht!«, frohlockt Kirk. »Es kommt nämlich nur auf die Ähnlichkeit der inneren Werte an.« Er schickt einen Rauchstrahl gen Himmel und befördert die Zigarre lässig von einem Mundwinkel in den anderen. »Ich bin aus Seattle«, outet er sich weiter, obwohl ich mich nicht mal vorgestellt hatte.
    »Ich aus St. Petersburg.«
    »Kenn ich!« Kirk klatscht mir begeistert auf die Schulter. »Da bin ich schon gewesen!«
    Ich bin angenehm überrascht – bis ich die Fortsetzung höre.
    »Schönes Städtchen«, teilt mir Kirk seine Eindrücke mit. »Ich war damals mit ’ner Freundin unterwegs … einem ziemlich prüden Mädchen! Es kam, wie es kommen musste, der Vergaser ging kaputt. Natürlich abends, gerade als wir Petersburg erreicht haben. Was sollten wir tun – da mussten wir ja in einem Hotel übernachten …«
    Er zwinkert mir verschwörerisch zu.
    Ich würde wirklich gern mal die Heimat von Tom Sawyer besuchen, aber diese Arroganz bringt mich auf die Palme.
    »Ich bin aus einem anderen Petersburg. Aus dem in Russland.«
    »Russland!«, ruft Kirk angenehm überrascht aus. »Da gibt es auch ein Petersburg?«

    »Ja. Und wo ist dieses Seattle?«, frage ich. »In Kanada? Oder in Mexiko?«
    Kirk kaut auf seiner Zigarre, unfähig zu entscheiden, ob ich mir einen Scherz erlaube oder tatsächlich noch nie von seiner sensationellen Stadt gehört habe. »In Amerika«
    »In Südamerika? Oder in Lateinamerika?«
    Obwohl er durch und durch Ami ist, ist er kein schlechter Kerl. Er fängt an zu lachen und boxt mich in den Bauch.
    »Hey! Du gefällst mir! Ich werd euch mal besuchen kommen. Später. Mit fünfundvierzig will ich mir Europa ansehen, dann mach ich einen Abstecher zu euch.«
    »Tu das.«
    Das Deep-Programm hat mich derart ausgelaugt, dass ich mit Vergnügen etwas herumtrödle und dieses belanglose Gespräch führe.
    »Ich bring Touristen hierher«, berichtet Kirk. »Hab das Geschäft von meinem Vater übernommen! Macht Spaß! Wir sind durch die Stadt gefahren, ein Mädchen hat mir ständig in den Ohren gelegen, ihr einen Diver zu zeigen. Ich habe dann auf irgendeinen Typen gedeutet und

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