Labyrinth der Spiegel
Spielprogrammen. Japaner sind völlig verrückt nach Tieren. Vielleicht weil sie in ihren winzigen Wohnungen keine echten halten können? Davon abgesehen legen sich natürlich auch all jene bedauernswerten Wesen gern eine designte Katze oder einen designten Hund zu, die Tiere lieben, aber unter einer Allergie leiden.
Ich setze mich auf eine Bank, neben ein leise flüsterndes Pärchen. Unter dem Rauschen des Springbrunnens starre ich auf die blinde Betonwand. Wenn ich Recht habe, geht der Kasten – ha, ha! – aufs Konto einer großen Bank.
Ob ich die Probe aufs Exempel machen soll?
Warum nicht? Frisch gewagt ist schließlich halb gewonnen. Und bei all dem, was ich bereits auf dem Kerbholz habe, macht dieser kleine Einbruch den Kohl auch nicht mehr fett.
Mit diesen Perlen aus dem Schätzkästlein der Volksweisheiten sporne ich mich an, kann mich aber trotzdem
nicht zur Tat aufraffen. Das Pärchen umarmt sich, ohne auch nur im Geringsten auf mich zu achten. Zu gern würde ich glauben, dass es Verliebte sind, die in der Realität durch Tausende von Kilometern getrennt werden, nicht bloß Leute auf der Suche nach einem schnellen Abenteuer.
Vor dem Haus toben Kinder herum, ein Mädchen und zwei Jungen. Mit farbiger Kreide beschmieren sie die Wand eifrig mit ihren Kritzeleien. Ich höre ihre fröhlichen Schreie: »Aber Andrjuschkas Monster sieht monströser aus, Janka!«, »Komm schon, Sewka, gib mir mal die rote Kreide!« Anscheinend hat jemand seine Rasselbande auf einen Ausflug in den virtuellen Raum mitgenommen. Irgendwann geben die Kinder endlich Ruhe und gehen völlig in der Malerei auf. Das Mädchen zeichnet einen Samurai mit einem Schwert. Das Schwert ist fast echt. Der pummelige Brillenträger Sewa bringt eine Art Riesenschlange auf die Mauer, die einen Elefanten gefressen hat. Dann kriegt die Schlange jedoch einen Lauf – und ich begreife, dass es nur ein Panzer ist. Der magere dunkelhäutige Andrej schnaubt gewaltig, als er ein unvorstellbares Monster zeichnet. Vielleicht hat er sich dieses Viech ausgedacht, vielleicht sollte es aber auch ein Mensch werden.
Ich stehe auf und gehe zu den Kindern hinüber.
»Sagt mal, könnt ihr eine Tür zeichnen?«, frage ich die drei.
Sie wissen offenbar nicht recht, wie sie auf diese Bitte reagieren sollen, beratschlagen sich dennoch und fangen schließlich an, den Auftrag auszuführen. Sie zeichnen mit
Leidenschaft, reißen sich gegenseitig die Kreide aus der Hand und streiten lauthals über die Frage, ob ein Türschloss nötig ist.
Ich warte geduldig. Irgendwann sind die jungen Talente fertig und blicken mich erwartungsvoll an: Würde ich ihr Werk zu schätzen wissen?
»Klasse«, sage ich ehrlich begeistert. »Vielen Dank!«
Die Tür ist wirklich gut. Sie liegt zwischen dem Rüssel des Elefanten – pardon, dem Kanonenrohr des Panzers – und dem Samuraischwert. Es gibt ein Türschloss, eine Klinke und sogar Angeln.
»Ihr habt mir sehr geholfen«, versichere ich.
Die Kinder scheinen hartnäckig auf etwas zu warten.
Daraufhin mache ich aus der Straße für mich eine Zeichnung. Ich atme tief ein, entspanne mich und verwandle die designte Tür in eine echte.
Alles ist Illusion, nur Illusion, was denn sonst …
Ich strecke die Hand aus und rüttle an der Klinke. Einmal, zweimal.
Nichts. Was um alles in der Welt habe ich denn erwartet?
Voller Wut trete ich gegen die echte Tür in der virtuellen Wand. Da geht sie auf.
Die Tür öffnet sich nach innen …
Wow! Es funktioniert!
Die Kinder hinter mir schreien auf, jedoch nicht erschrocken oder verblüfft, sondern eher begeistert. Von ihrem Geschrei begleitet gehe ich durch die undurchdringliche Mauer.
Und gelange in ein Bad.
Die alten Römer, die etwas von diesen Dingen verstanden haben, die sparsamen Finnen und auch die leidenschaftlichen Russen würden bei dem Anblick vor Neid platzen. Ein riesiger Marmorsaal, eine Glaskuppel mit einer dünnen Schneedecke, durch die die kalte Wintersonne scheint. In der Mitte des Raums liegt ein rundes Becken, in dem sich gerade zehn Männer nach dem Saunagang abkühlen. Durch die Fenster blicke ich auf Berge und einen Abhang, über den weitere, offenbar kühnere Männer rennen und Fontänen weißen Pulverschnees aufwirbeln. Eine schwere Holztür fliegt auf, und ein magerer Typ stürmt schreiend aus dem Dampf herein, um ins Becken zu springen. Der Mann hüpft auf der Stelle, bis das Wasser spritzt. An einer Bar trinkt ein kahler Fettsack mit einem Handtuch um die
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