Labyrinth der Spiegel
zu sehen, wie ich den Kampf überstanden habe?«
Ich würde zu gern Ja sagen, aber das wäre gelogen. »Nicht nur. Ich wollte auch einen Rat von dir …«
»Aber jetzt hast du es dir bestimmt anders überlegt?«
Das habe ich – nur geht das nach diesen Worten nicht mehr.
»Ich bin da in eine sehr seltsame Geschichte reingeschlittert, Romka.« Ich stehe auf, gieße mir zwei Fingerbreit Gin ein und fülle das Glas mit Tonic auf. »Ich bin im Netz auf einen Menschen gestoßen … der nicht hundertprozentig ein Mensch ist.«
Romka wartet geduldig.
»Inzwischen weiß ich nicht mehr, was wahr ist und was gelogen«, gestehe ich. »Vielleicht ist er ein Außerirdischer von einem anderen Stern, vielleicht ein Besucher aus einer Parallelwelt oder das Produkt eines intelligenten Rechners. Vielleicht ist er aber auch ein Mutant, der selbstständig ins Netz geht, ohne jeden Computer. Jedenfalls
wird der Mann gejagt. Mindestens zwei große Konzerne sind hinter ihm her.«
Der Werwolf signalisiert mit einem Nicken, dass er im Bilde ist: klar, das Labyrinth und Al Kabar.
»Plus Dmitri Dibenko.«
»Dibenko?«
»Höchstpersönlich. Alle drei wollen diesen Mann für ihre Zwecke einspannen. Er jedoch will uns wieder verlassen. Für immer.«
»Und jetzt fragst du dich, ob du ihn ausliefern sollst?«, vermutet Romka.
»Wenn er gehen will, kann ihn niemand daran hindern, da bin ich sicher. Trotzdem … Romka, er kommt aus einer anderen Welt. Er verfügt über ein anderes Wissen, steht für eine andere Kultur. Wenn wir ihn überreden könnten zu bleiben … damit wir wenigstens etwas von alldem erfahren. Ein Krümelchen seines Wissens könnte die Menschheit auf eine höhere Entwicklungsstufe katapultieren!«
»Schon möglich«, stimmt Romka mir zu.
»Er hat es … wie auch immer … geschafft, etwas in mir zu verändern. Ich verfüge jetzt über gewisse Fähigkeiten, und nur ihretwegen konnte ich dich überhaupt finden. Habe ich da wirklich das Recht, zu schweigen und ihn zu verstecken.«
»Und da bittest du mich um Rat?«, fragt Romka irgendwie ängstlich. »Ja?«
»Genau. Und ich bitte dich gerade deshalb, weil du noch jung bist. Ich selbst bin nämlich längst ein alter Zyniker. Also, Romka, hat ein einzelner Mensch das Recht auf ein Wunder?«
»Nein.«
Ich nicke. Mit dieser Antwort habe ich gerechnet. Aber Romka ist noch nicht fertig.
»Niemand hat das Recht auf ein Wunder. Denn ein Wunder ist etwas, das unabhängig vom Menschen existiert. Genau deshalb ist es ja ein Wunder.«
»Danke«, sage ich und stehe auf.
»Bist du sauer auf mich?«, fragt Romka.
»Im Gegenteil! Aber ich muss los. Und ich bin wirklich froh, dass bei dir alles in Ordnung ist.«
Als ich schon fast durch die Tür bin, bleibe ich nochmal stehen. »Übrigens: Trink nicht so viel«, sage ich noch. »Du bist auch ohne Alkohol längst erwachsen, Romka, du brauchst gar nicht so dick aufzutragen. Viel Glück bei deiner Prüfung!«
»Danke!«, erwidert Romka.
Ein Wunder ist etwas, das unabhängig vom Menschen existiert.
Ich gehe den Gang in diesem Hotel hinunter und lächle, als ich an Romkas Worte denke.
Unser ungeduldiger Verstand! Unsere Gier, die keine Ruhe gibt!
Immer müssen wir alles verstehen, erklären und bezwingen!
Ein Wunder muss handgerecht und dienstbar sein. Wir haben sogar aus Gott einen Menschen gemacht, erst danach waren wir bereit, an ihn zu glauben. Jedes Wunder müssen wir auf unser Niveau herabziehen.
Vermutlich hat aber selbst das noch etwas Gutes. Sonst säßen wir wahrscheinlich immer noch in Höhlen und
würden jene rote Blume mit Reisig füttern, die von einem Blitz entzündet worden war.
Du bist ein erstaunlicher Junge, Romka. Du bist auf dem falschen Weg zur richtigen Antwort gelangt. Als ob du durch ein Spiegellabyrinth gelaufen, gegen das Glas gerannt wärest – und trotzdem den Ausgang gefunden hättest. Mir ist noch nicht ganz klar, warum du Recht hast, aber Recht hast du, das steht fest.
Ich gehe an dem gleichgültigen Mann hinterm Rezeptionstresen vorbei und verlasse das Hotel. Eine Straße in Deeptown, Menschen, Autos und Leuchtreklamen. Ich weiß etwas, das imstande wäre, die Welt zu ändern. Ich könnte der Welt ein Wunder geben.
Aber ich habe nicht das Recht dazu, denn dieses Wunder ist ein Lebewesen.
Und es gehört nur sich selbst. Unser Leben, unsere Freude und unser Leid interessieren dieses Wunder nicht. Was trennt mich denn vom Loser? Die Kälte des Kosmos oder der unvorstellbare Abgrund
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