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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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gehen. In seine Parallelwelt oder zu fernen Sternen. Er ist genauso frei wie wir.«
    Guillermo scheint wie vor den Kopf geschlagen. Er sieht mich mit schmerzhaftem, müdem Blick an. Wahrscheinlich hat er die Wahrheit gesagt. Vermutlich will er dem Loser wirklich nichts Böses. Wir packen die Sache einfach unterschiedlich an.
    »Wollen Sie ihn tatsächlich gehen lassen, Revolvermann?«, fragt er. »Wollen Sie wirklich zulassen, dass dieses Geheimnis für lange Zeit, vielleicht sogar für immer ungelöst bleibt? Dass wir nie erfahren, wer der Loser war?«
    »Das ist Freiheit, Willy.«
    »Ihr Russen habt den Staat und die Gesellschaft doch immer über den einzelnen Menschen gestellt«, erläutert Guillermo. »Das ist zwar falsch, aber bitte!«
    »Nur bin ich ein Bürger Deeptowns. Und in der Tiefe gibt es keine Grenzen, Willy.«

    Guillermo nickt und steht langsam und unbeholfen auf. Er betrachtet das wartende Taxi. In ihm sitzen sicher auch ein paar Kraftbolzen aus Al Kabar und womöglich meine Freunde Anatole und Dick.
    »Hat der Loser wenigstens etwas für Sie ganz persönlich getan, Revolvermann?«, erkundigt sich Willy.
    »Wahrscheinlich schon.«
    »Dürfte ich erfahren, was?«, fragt er mit überraschender Schüchternheit. »Oder zeigen Sie es mir?«
    Ich sehe ihn an, ehe ich mich über die eingedrückte Stelle im Asphalt beuge.
    Vor gut zwei Stunden ist hier der Diver und Werwolf Roman, mein unglücklicher Partner, gestorben. Ich habe nicht gesehen, wie das geschehen ist, aber ich kann es mir vorstellen.
    Die Flamme hüllt den Wolfskörper ein, das Virus des Mannes Ohne Gesicht frisst sich durch Romkas Computer. Die Festplatte vibriert, als die Daten und sämtliche Software gelöscht werden. Die Verbindung reißt, und Romka fällt aus der Tiefe , wird aus seinem verzweifelten und hoffnungslosen Kampf geschleudert.
    Ich rieche das verbrannte Fell, sehe das fahle Feuer, mein Körper krümmt sich in einem Krampf …
    Und ich verschwinde, sacke durch den virtuellen Asphalt, in den inzwischen verstopften Verbindungskanal.

100
    Ich fliege.
    Ein Funkenregen prasselt auf meinen Körper ein.
    Spiralförmige Blitze peitschen mir ins Gesicht.
    Ich spüre Schmerzen, und zum ersten Mal im virtuellen Raum sind es Schmerzen, die ich nicht imaginiere. Es ist ein schwaches Echo jener Qualen, die mein Körper in der echten Welt erträgt. Das ist der Preis dafür, dass ich etwas mache, was ein Mensch nicht tun kann, nicht tun darf: Ich trete in direkten Kontakt mit den Rechnern. Ich bewege mich durchs Netz, indem ich auf längst beendete Programme zugreife.
    Das tut weh, doch ich muss es aushalten.
    Ich glaube, ich stöhne. Ich schreie, presse meine inexistenten Hände gegen die Stirn. Glühende Nägel bohren sich mir in die Augen, meine Haut wird abgeschmirgelt.
    Das ist der Preis für das Unmögliche …
    Als ich wieder zu mir komme, sehe ich vor mir eine Tür. Ich liege in einem langen und tristen Gang, von dem hundert solcher Türen abgehen. Bin ich in einem der VR-Hotels?

    Die Schmerzen haben sich noch nicht verzogen, aber etwas nachgelassen. Ich kann immerhin vorsichtig aufstehen. Dann muss ich mich allerdings gleich wieder mit der Stirn gegen die kalte Holztür lehnen.
    Kommst du also auch von verschiedenen Adressen in die virtuelle Welt, ja, Romka?
    Ich stoße die Tür auf, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie abgeschlossen sein könnte, und stolpere ins Zimmer. An die Wände sind Poster von halbnackten Schönheiten gepinnt, vor einer Wand steht ein Tisch voller Drinks. Irgendwie reichlich albern. Ein unbekannter Mann sitzt mit dem Rücken zu mir vorm Rechner, hämmert auf die Tastatur ein und trällert gotterbärmlich vor sich hin. Eine halbleere Flasche Gin und ein Ascher mit Kippen leisten ihm Gesellschaft. Gerade stürzt er ein Glas mit billigem Hogarth runter.
    »Hallo, Romka!«, brumme ich, ehe ich gegen die Wand sinke. Der Mann fährt herum, springt auf, packt mich und zieht mich zum Sessel.
    Nun darf ich endlich in Ohnmacht fallen.
     
    Romka hält mir ein volles Glas Gin an die Lippen. Der Geruch des Wacholders bringt mich endgültig zurück in die Realität.
    »Nimm das weg … sonst kotz ich …« Ich schiebe seine Hand zur Seite.
    »Bist du das, Ljonka?«, fragt der Diver entgeistert.
    »Mhm.«
    »Trink das, dann geht’s dir gleich besser!«

    »Du Alki«, knalle ich ihm das an den Kopf, was ich immer gedacht, mich aber nie auszusprechen getraut habe. »Puren Gin kriegst nur du

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