Labyrinth der Spiegel
strömt in verschiedene Richtungen auseinander, sammelt sich an, vermehrt sich. Und sie verschwindet niemals spurlos. Deshalb ist es etwas völlig anderes, ob man eine Datei, einen Edelstein oder ein geliebtes Buch aus der Hand gibt. Informationen durchdringen den Raum des Universums, zerstören das Gleichgewicht von Ordnung und Chaos.«
Guillermo atmet erst mal tief durch. Er ist aufgewühlt, er will jetzt unbedingt weiterreden.
»Immer dann, wenn die Menschen zu einem neuen Verständnis der Welt gelangen, wenn sich ihr Blick auf das Leben ändert, geschieht etwas Ungewöhnliches. Dann fällt die Grenze zwischen den Welten, dann vollzieht sich ein Wunder. Und dann kann ein Wesen aus einer anderen Welt – vielleicht ein Mensch, vielleicht aber auch nicht – zu uns vorstoßen. Es wird sich mit unserer Moral, unserer Kultur und unseren Träumen konfrontiert sehen, es wird
das Wissen des Netzes in sich aufnehmen … erschrecken und erstarren.«
Wie soll ich darauf antworten?
Vielleicht, indem ich meinen Traum von dem fallenden Stern erzähle?
»Soweit ich es verstehe, hat der Loser Ihnen erklärt, er sei ein Außerirdischer von einem anderen Stern?«, will Guillermo wissen.
Ich nicke.
Auch wenn das nicht ganz stimmt. Er hat es mir ja nicht explizit gesagt, er hat nur meine Worte nicht zurückgewiesen.
»Hat er Ihnen das mit eigenen Worten versichert? Oder hat er lediglich Ihre Hypothese bestätigt?«
»Letzteres«, murmele ich.
»Also das übliche Muster«, bemerkt Guillermo. »Sie geben zu, hier fremd zu sein, locken uns dabei aber auf eine falsche Fährte. Zu Recht, denn sie haben allen Grund uns zu fürchten. Ihre Zivilisation dürfte vermutlich friedliebend sein, während wir ja nicht gerade die sanftmütigsten Wesen sind.«
Es war lange her, dass mich jemand so vorgeführt hatte.
»Wir haben verschiedene Theorien diskutiert«, erläutert Guillermo weiter. »Auch mit der Version von Al Kabar haben wir uns auseinandergesetzt. Sie gehen von einem intelligenten Rechner aus, von einer Mutation, die ein Zwitter aus Mensch und Computer hervorgebracht hat. Unsere Spezialisten haben dafür … nur ein Lächeln übrig. Selbstverständlich haben wir auch an einen Außerirdischen von einem anderen Stern gedacht. Das ist schön …
und wohl zu schön, um wahr zu sein. Für uns arbeiten erstklassige Psychologen und hervorragende Programmierer. Beide Gruppen haben sich intensiv mit dem Problem beschäftigt. Und bislang scheint die Theorie von den Parallelwelten am überzeugendsten. Al Kabar hat zu wenig mit Menschen zu tun, daher ist ihr Herangehen rein mechanisch. Obendrein versteht Urmann nicht viel von moderner Technologie. Glauben Sie mir, wir haben es hier weder mit einem intelligenten Rechner noch mit einem Menschen, der mit einem Computer verwachsen ist, zu tun. Vielleicht …« Ein arrogantes Lächeln. »… mit einem Außerirdischen. Vielleicht …« Jetzt setzt Guillermo ein ernstes Gesicht auf. »… aber auch mit einem Wesen aus einer Parallelwelt. Lassen Sie uns versuchen, das Problem gemeinsam zu lösen. Ohne Machtspielchen. Ohne … Kämpfe.« Guillermo deutet angewidert auf den geschmolzenen Asphalt. »Setzen wir uns zusammen und reden in alle Ruhe miteinander. Vergessen wir, was in der Vergangenheit zwischen uns vorgefallen ist. Lassen Sie uns lieber gemeinsam diesem Wesen klarmachen, dass wir keine Ungeheuer sind, dass er uns nicht fürchten muss. Reichen wir ihm die Hand.«
Er hält mir seine Hand hin. Ich erwidere jedoch kein Wort und ignoriere die Hand.
Wer auch immer der Loser sein mag, er hat versucht mir zu helfen.
Er war – und ist – besser als die meisten echten Menschen.
»Tut mir leid, Willy, aber ich muss Ihr Angebot ablehnen«, sage ich. »Möglicherweise haben Sie völlig Recht,
wenn Sie ihn zur Kooperation überreden wollen. Allerdings habe ich nicht das Recht, das zu entscheiden.«
»Und wer hat dann dieses Recht, Revolvermann?«, fragt Guillermo leise.
»Nur er selbst. Der Loser. Er will uns nichts sagen. Er hat sich als Alien bezeichnet, als Besucher, den die Einsamkeit müde gemacht hat. Jetzt möchte er wieder gehen. Das ist sein Recht. Das ist seine Entscheidung. Er hat niemandem geschadet, er hat sich bloß in unserer unglückseligen Welt verlaufen. Ich habe ihm geholfen herauszukommen. Ich habe ihm … wie ich hoffe … gezeigt, dass die Tiefe nicht allein aus blutigen Kämpfen besteht. Wenn das nicht genug ist, kann ich es nicht ändern. Dann mag er
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