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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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nickt. »Genau das gelingt mir leider nicht.«

    Als er den Pfad hinuntergeht, blicken wir ihm nach. Schließlich schenke ich uns erneut etwas ein. »Auf unseren Erfolg!«
    Roman hat noch nicht ganz begriffen, wie viel Geld wir eingesackt haben, und dreht schweigend seinen Becher in der Hand hin und her. »Bist du glücklich, Ljonja?«
    »Klar.«
    »Ist ’ne Menge Geld …« Er starrt auf den Scheck, ehe er den Becher mit einer energischen Bewegung hebt. »Auf den Erfolg!«
    »Genau«, stimme ich zu.
    »Du kommst doch weiter in die Tiefe ?«
    »Klar.«
    Roman nickt, offenbar erleichtert. »Ich arbeite gern mit dir zusammen«, bemerkt er nach einem weiteren Schluck. »Du … bist anders.«
    Kurz glaube ich, wir würden jetzt jene unsichtbare Grenze überschreiten, die zwei Diver normalerweise daran hindert, mit ihrer Identität herausrücken.
    »Dito, Roman.«
    Der Werwolf steht auf. Abrupt, ungestüm. »Ich muss los … ich hab Besuch …«
    Er löst sich in Luft auf, der Becher fällt zu Boden und rollt polternd und hüpfend davon.
    »Viel Erfolg, Roman«, sage ich in diese Leere hinein.
    Die Einsamkeit ist die Kehrseite der Freiheit.
    Ich kann keinen Freund haben.
    »Die Rechnung!«, verlange ich wütend. »Die Rechnung! Sofort!«

100
    Blöderweise bin ich noch immer nicht müde. Liegt wahrscheinlich an diesem Tag, der einfach zu erfolgreich gewesen ist.
    Deshalb gehe ich zurück ins Restaurant. Das Publikum ist nun zum Teil ein anderes, aber die Amis grölen nach wie vor über ihre Witze.
    Vielleicht sollte ich spazieren gehen.
    Beim Verlassen der Drei kleinen Schweinchen überlege ich kurz, nicht doch ein Taxi zu nehmen, entscheide mich aber dagegen. Nach und nach lasse ich die großen Straßen hinter mir und erreiche die russischen Chatquarters.
    Das ist eine der interessantesten Gegenden in der virtuellen Welt, jedenfalls meiner Meinung nach. Eine Gegend, in der man sich einfach unterhalten kann.
    Über alles Mögliche.
    Die Gebäude – übrigens jedes von ihnen in einem eigenen Stil – ziehen sich in langen Reihen dahin, dazwischen liegen Grünanlagen und Plätze, die mal voller Menschen, mal leer sind. Ich betrachte die bizarren Schilder. Einige sind auf Anhieb verständlich, andere bleiben absichtlich nebulös.

    Witze.
    Gespräche über alles und nichts.
    Erotische Abenteuer.
    Anderort.
    Wo der Hafer wächst.
    Bücher.
    Kampfkünste.
    In diese Häuser geht man, um sich über konkrete Themen auszutauschen. Sie sind Echos aus prävirtuellen Zeiten. Weiter hinten liegen die seriöseren Clubs, in denen man sich Rat in technischen Fragen holen, über Programme streiten oder sogar geklaute Software für billiges Geld kaufen kann. Die interessieren mich nicht.
    Ich biege zu einem kleinen Park ab, an dessen Eingangstor das Schild Witze hängt. Hier ist es immer voll, laut und chaotisch. Das Ganze erinnert an einen Rummelplatz aus den sechziger Jahren. In einer Ecke spielt leise ein kleines Orchester, ganz offensichtlich kein echtes. Leute sitzen auf Bänken, trinken Bier und unterhalten sich. Ich nehme etwas abseits Platz.
    Ein Typ in Jeans und schneeweißem Hemd erklimmt die kleine Holzbühne. Die reinste Durchschnittsvisage, man nimmt kaum Notiz von ihm.
    »Kommt Agent Stierlitz aus dem Haus …«, fängt er an.
    Eine Frau neben mir pfeift und wirft eine Bierflasche auf den Typen. Ich verstehe sie. Neunzig Prozent aller Witze, die hier erzählt werden, sind alt. Diesen Club schätzen Frischlinge in unserer virtuellen Welt, die noch nicht dahinter gekommen sind, dass es nichts Neues unterm Mond gibt. Eine halbe Stunde genügt, und jeder Zweifel
ist ausgeräumt: Kain hat Abel einzig und allein deshalb ermordet, weil er Witze mit meterlangem Bart erzählt hat.
    Nachdem der Typ seinen Witz unter Gejohle und Gepfeife beendet hat, flieht er von der Bühne und sieht sich gehetzt um. Irgendwo klatscht jemand einsam Beifall. Damit hätte ich nun doch nicht gerechnet.
    Ich halte nach der Bar Ausschau. Sie ist weit weg, am anderen Ende des Parks. Die Frau neben mir hält mir schweigend eine Bierflasche hin.
    »Danke.« Ich nehme einen Schluck. Das kalte Heineken hebt meine Laune sofort.
    Ein weiterer Typ betritt die Bühne. Er sieht wesentlich individueller aus und erinnert mich irgendwie an einen Balten. Kaum bemerke ich seinen durchtriebenen Gesichtsausdruck, verkrampfe ich mich.
    »Herrschaften!«, ruft er mit einem Blick auf einen kleinen Kiosk am Rand der Bühne. Er ist wirklich ein Balte – falls mein

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