Labyrinth der Spiegel
schweigend und ohne anzustoßen. Wie auf einen Toten.
»Alles ändert sich, Schurka«, bemerkte ich leise. »Früher hatten wir Fido mit dem Netzwerk der Freunde und haben über alles Mögliche gequatscht, wir haben das Internet gehasst und sind über Microsoft hergezogen. Inzwischen gibt es kein Internet mehr und auch kein FidoNet. Es existiert nur noch der virtuelle Raum. Und für den ist Windows nun mal das beste Programm.«
»Das ist Schrott!«, stellte Maniac kategorisch fest. »Arbeitest du etwa immer noch mit Windows Home?«
»Ja.«
»Na ja, vielleicht hast du Recht«, sagte Maniac sehnsüchtig. »Eine angenehme Stimme, Hinweise zur Kapazität der Festplatten und der Qualität der Komponenten …
Du kannst dein Hirn abschalten, brauchst bloß den Cursor über den Bildschirm zu ziehen und auf die Icons zu klicken!«
»Und du schlägst dich immer noch mit OS/2 herum?«
»Was heißt hier herumschlagen ?«, explodierte Maniac. »Das ist das beste Betriebssystem, von Unix abgesehen! Vorgestern habe ich es upgedatet! Das ist eine Wucht, jenseits aller Software!«
»Jedes Mal, wenn ich zu dir komme, höre ich von dir was in der Art wie ›Ich habe eine neue Version installiert … hat mich drei Tage gekostet.‹ Bei mir dagegen läuft jetzt schon seit zwei Jahren Windows Home.«
»Jedem das Seine«, räumte Maniac ein. »Hör mal, Ljon«, wechselte er unvermittelt das Thema, »wie bist du mit deinem Windows überhaupt bis nach Al Kabar gekommen?«
Ich wich seinem Blick aus.
»Im Netz kursiert übrigens das Gerücht, zwei Diver hätten Al Kabar übers Ohr gehauen«, bemerkte Maniac süffisant.
»Warum gerade zwei?«, versuchte ich, einer direkten Antwort auszuweichen. »Es könnte ja auch ein Diver gewesen sein. Mit seinem Kumpan.«
Maniac lachte leise. »Halt mich nicht für einen Lamer, Ljonja. Sonst schicke ich dir eine entzückende kleine Mail – und danach darfst du sämtliche Software neu installieren. Diver arbeiten nicht mit normalen Usern zusammen.«
Schweigend sah ich Maniac an.
»Schon gut«, sagte er. »Also dann, auf den Erfolg! Auf die reichen Idioten und die schlauen Hacker!«
Wir stießen an.
»Um was ging es da, Ljonka?«
»Um ein Medikament gegen Schnupfen.«
»Echt? Cool!«
Während wir jeder ein paar Würstchen aßen, dachte ich voller Sorge darüber nach, dass meine Anonymität einen Riss bekommen hatte.
Gestern hatten noch Unbekannte versucht, mir mein Geheimnis zu entlocken.
Heute machte sich ein Freund seinen Reim auf alles.
»Ich kenne nicht einen Diver, Ljonja«, fuhr Maniac fort. »Und ich habe nicht die Absicht, sie zu jagen. Ich habe keine Komplexe … schon gar nicht gegenüber Freunden.«
»Danke«, sagte ich.
»Aber … ich habe eine Frage.«
Hacker haben immer eine Frage. Sie glauben, sie könnten die eine Frage stellen, die der Schlüssel zu allen Geheimnissen von uns Divern wäre.
»Ja?«
»Wenn ein Diver beschließt, aus dem virtuellen Raum aufzutauchen, was macht er dann? Denkt er einfach nur: Ich will jetzt wieder in der realen Welt sein oder was?«
»Ich habe gehört, dass ein Diver …« Ich blickte an ihm vorbei. »… dabei einen ziemlich blöden Satz murmelt.«
»Welchen?«
»Tiefe, Tiefe, ich bin nicht dein!«
»Mehr nicht?«
»Manchmal fügt er noch hinzu: Tiefe, Tiefe, gib mich frei! «
»Und das ist alles?«, fragte Maniac mutlos.
»Ja.«
»So simpel ist das?«
Maniac kramte in seinen Taschen, holte eine Schachtel Lucky Strike heraus und zündete sich eine an. »Früher war alles viel einfacher«, stellte er leicht verstimmt fest. »Da gab es Hacker, ehrliche Newbies und Lamer. Die ersten konnten alles. Die zweiten lernten. Und die dritten waren Blödmänner, über die man getrost lachen durfte. Aber du … du bist und bleibst ein Newbie!«
»Ja«, bestätigte ich.
»Aber dann kam die Tiefe … und all unsere Träume schienen wahr zu werden.« Maniac lachte bitter. »Von wegen! Ich, ein echt versierter Hacker«, rief er provozierend, »bin im virtuellen Raum nur einer unter Millionen! Gut, ich bin wahrscheinlich etwas gewiefter. Immerhin habe ich Erfahrung! Trotzdem … manchmal passiert es …« Er verstummte und drehte das Würstchen in der Hand. Dann gestand er: »Vor ein paar Tagen habe ich die Maus gefressen.«
»Was?!«
»Die Maus. Vom Rechner. Natürlich nicht die Maus, die ist zu hart … aber ich habe das Kabel durchgebissen.«
»Weshalb das?«, fragte ich dämlich.
»Reiner Zufall. Ich war in der Tiefe und
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