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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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nur ein zufälliger Kunde, der auf der Flucht war und sich im Puff in Sicherheit gebracht hat. Und dann auf mein Foto abgefahren ist. Also sorry.«
    Wir erreichen die Drei kleinen Schweinchen . Im virtuellen Raum gibt es keine Rushhour, dank der Zeitzonen hat sich dieser Begriff erübrigt. Trotzdem kommt es immer wieder zu einem zufälligen Andrang oder zu überraschender Leere. Jetzt zum Beispiel ist der Saal gerammelt voll.
    Wir kämpfen uns zur Bar durch. »Hallo, Andrej!«, rufe ich dem Barmann zu.
    »Hallöchen!«, erwidert Andrej, der gerade einem Gast einen Cocktail hinschiebt. »Und wer bist du?«

    Huch! Das ist ja tatsächlich Andrej, nicht irgendein Programm.
    »Leonid«, sage ich.
    Andrej runzelt die Stirn. In diesem Körper hat er mich noch nie gesehen.
    »Äh, Alter!«, flüstere ich deshalb mit schrecklicher Stimme. »Was’n los? Ist die Steuer hinter dir her? Oder hat dir jemand ’ne Datei geklaut? Raus mit der Sprache! Wir regeln das für dich!«
    Andrej beugt sich über den Tresen. »Mann!«, ruft er. »Ich hab dich gar nicht erkannt! Wie groß du geworden bist! Ein richtiger Mann!«
    Vika wartet geduldig, scheint sich aber nicht sonderlich wohlzufühlen. Offenbar macht das Ambiente sie nervös.
    Womit es ihr genauso ergeht wie mir in ihrer Recreation Area.
    »Für dich das Übliche?«, fragt Andrej und langt nach den Flaschen.
    »Mhm, einen Gin Tonic, aber eins zu eins«, erwidere ich grinsend. »Ich bin’s wirklich, das kannst du glauben. Wir würden jetzt allerdings gern allein am Fluss sitzen.«
    Andrej schielt unter den Tresen, auf seinen Rechner.
    »Sind etwa alle Kanäle dicht?«, frage ich entsetzt.
    »Wir finden schon einen für dich«, versichert Andrej. Er streckt die Hand aus und tippt etwas. »Wär doch gelacht! Ha, Glück muss man haben! Da ist eine Verbindung gerissen! Beeilt euch, solange der Kanal frei ist!«
    Ich fasse Vika bei der Hand und ziehe sie zur Tür in der Steinwand des Restaurants. »Einen individuellen Raum
für uns beide«, befehle ich im Windfang. »Niemand sonst hat Zugang.«
    »Zu Befehl«, raunt es von der Decke. »Niemand sonst hat Zugang. Ihr seid Gäste des Restaurants. Die Drei kleinen Schweinchen wünschen euch eine angenehme Zeit.«
    »Nein, wie cool«, kommentiert Vika in ironischem Ton. »Bist du hier Stammkunde?«
    »Ja.«
    Ich verzichte auf nebensächliche Details wie jene Show, die ich mit der Steuerfahndung abgezogen habe, oder das Geplänkel mit den Dreckskerlen, die Andrej die Finanzdateien klauen wollten. Wenn ich mir diese Bande mittelmäßiger Hacker nicht vorgeknöpft hätte, hätte Andrej ziemlich tief in die Tasche greifen müssen. Entweder für eine Schutzgeldbande oder für die Steuerinspektion von Deeptown. Aber so konnte alles in schönstem Einvernehmen geregelt werden, sogar die Schutzgelderpresser waren am Ende zufrieden. Damit, dass sie so glimpflich davongekommen sind.
    Wir treten in den Herbst hinaus.
    Vika bleibt kurz stehen und sieht sich um. Sie klaubt ein welkes Blatt vom Boden auf und zerdrückt es, berührt die Baumrinde.
    Ich warte. Ich lasse mir auch immer Zeit, wenn ich einen neuen virtuellen Raum betrete. Obendrein tauche ich sogar noch aus der Tiefe auf, um die Konstruktion zu begutachten. Vika steht diese Möglichkeit zwar nicht zur Verfügung, doch Raumdesigner haben ihre eigenen Methoden.

    »Nicht schlecht«, urteilt sie. »Da könnte sogar Karl Sigsgaard dahinterstecken … So gut wie er wäre ich auch gern!«
    »Du bist nicht schlechter als er«, tröste ich sie.
    »Nein, es gibt Bereiche, da ist er eindeutig besser«, hält Vika dagegen. »Er hat ein hervorragendes Gespür fürs richtige Maß, ich schieß manchmal übers Ziel hinaus.«
    Sie tritt wie ein Kind mit dem Fuß in die Blätter, die aufwirbeln und wieder niedersegeln.
    »Komm!« Ich nehme ihre Hand und führe sie zum Fluss. Der Tisch ist wie für ein Festessen gedeckt. Auf einer großen Platte wartet die Spezialität des Hauses, Schweinebraten. Auch mein geliebter Glühwein steht bereit, dazu eine stattliche Auswahl an Rot- und Weißweinen.
    Vika achtet gar nicht auf den Tisch, sie blickt vom Abhang aus in die Ferne. Ich stelle mich neben sie. Am gegenüberliegenden Ufer zerrt der Fluss an den Zweigen eines entwurzelten Baumes. Vermutlich hat es einen Sturm gegeben. Auch dieser Raum lebt, genau wie Vikas Berge.
    »Danke«, sagt Vika. Eine warme Woge durchläuft mich. Ich würde ihr gern noch das Meer zeigen und ein Stück vom alten Moskau, beides grenzt

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