Labyrinth der Spiegel
Bühne, holt den Loser raus und kriegt einen Vertrag!«
Anatole erhebt sich und knöpft seinen Schutzanzug an der Brust auf. »Erschieß mich!«, verlangt er in sachlichem Ton.
»Was?«
»Du sollst mich töten! Dann gehört dir meine Ausrüstung. Oder willst du dich etwa bloß mit einem Karabiner durchschlagen?«
Ich zögere.
»Hör mal, Revolvermann«, ermahnt mich Anatole kopfschüttelnd. »Du bist schon genau wie der Loser!«
Er hält sich seine Plasma Gun an die Brust und drückt ab. Eine kurze Explosion, Blut spritzt, doch er lebt noch.
Die Diver vom Labyrinth verfügen über einen enormen Anteil an Lebenskraft.
»Scheiße aber auch!«, röchelt Anatole und schießt erneut auf sich.
Der Schutzanzug ist blutgetränkt und ich sehe lieber nicht allzu genau hin, als ich Anatole die Rüstung abnehme. Sobald ich sie angelegt habe, schnappe ich mir seine Waffen und seine Munition.
Der Loser beobachtet uns offenbar nicht, vielleicht lässt ihn die ungewöhnliche Form der Ausrüstungsübergabe aber auch völlig kalt.
Ich gehe zu ihm und setze mich neben ihn. Alles ist genau wie beim ersten Mal. Er lässt den Kopf hängen und blickt mich mit trübem Blick durch die Gasmaske an. Ob er wirklich ein Diver ist? Und jetzt bei einer Tasse Kaffee und einem Wurstbrot den Bildschirm im Auge behält und jederzeit in die Tiefe eintauchen kann, um mir irgendein Lügenmärchen aufzutischen?
»Hast du nicht allmählich genug von diesem Ort?«, frage ich ihn.
Er braucht einige Sekunden, um zu antworten. Was passiert in dieser Zeit? Sucht er nach einer Antwort? Oder startet er die Deep-Software? »Ich habe keine andere Wahl«, krächzt der Loser.
»Warum nicht? Pass auf, lass uns einfach aus dem Labyrinth verschwinden, ja? Bist du schon mal in den Drei kleinen Schweinchen gewesen? Oder im Alten Hacker ?«
Der Loser schüttelt den Kopf.
»Da ist viel mehr los als hier«, versichere ich. Wir sitzen nebeneinander, ich halte die BFG9000 auf den Knien bereit,
damit ich im Notfall jeden Gegner sofort umnieten kann. Mit dieser Ausrüstung würden wir es schaffen! Wär doch gelacht, wenn nicht. Trotzdem drängle ich nicht. »Ich will dir übrigens noch danken.«
»Wofür?«
»Du hast mir im Spiegelsaal Deckung gegeben.«
Jetzt zieht der Loser die Gasmaske runter. Mit einem Mal fällt mir auf, wie seltsam er sich bewegt. In allen Gesten liegt eine seltene Weichheit und Grazie, fast, als bereite jede einzelne von ihnen ihm Vergnügen. So geben sich eitle Schauspieler. Doch im Unterschied zu ihnen stört mich das bei dem Loser nicht.
»Ist es wirklich nötig, mir dafür zu danken?« In seiner Stimme ist ein ironischer Unterton.
»Das ist es«, entgegne ich. »Was dachtest du denn?«
»Hättest du dich etwa anders verhalten?«
»An deiner Stelle mit Sicherheit.«
Eine Pause. Der Loser scheint erstaunt. »Warum?«
»Weil du bis über beide Ohren in der Tinte sitzt. Du musst unverzüglich aus dem Labyrinth raus.«
»Wieso sollte ich in der Tinte sitzen?« Der Loser schüttelt den Kopf.
»Bist du ein Diver?«, frage ich ihn ganz direkt.
»Nein.«
»Hör mal, mach mir ja nichts vor! Du bist seit zwei Tagen in der Tiefe . Du musst vor Hunger und Durst völlig am Ende sein.«
»Durst ist nicht das Schlimmste.«
»Was bitte schön soll denn noch schlimmer sein?«
»Die Stille.«
»Was?«
»Die Stille, Revolvermann.«
Er sieht mir in die Augen. Ich halte seinem Blick stand. Unsere Gesichter sind einander ganz nah.
Die diffuse Hilflosigkeit verschwindet aus seinen Augen. Es bleibt nur schwarze Tiefe . Unendliches Dunkel, als sehe ich in den Nachthimmel hinauf, an dem auf einen Schlag alle Sterne erloschen sind. Als sehe ich in einen Strudel aus Finsternis, der mich lautlos aufsaugt, der mich hinter die Grenze der Welten trägt.
»Die Stille«, flüstert der Loser.
Ich spüre sie, diese Große Stille, von der er mir erzählen will. Und es ist gut, dass er jetzt schweigt. Worte würden hier nur stören, sie würden die Rinde der Stille zerschrammen, aber nicht durchdringen, so dass sie dich am Ende nur hindern, die Stille zu begreifen.
Die Stille.
Wer auch immer er sein mag, dieser Loser, er weiß mehr über sie als irgendjemand sonst auf der Welt.
Und es fehlt nicht viel, und auch ich werde in diese Stille hineinfallen. Und den Loser vorbehaltlos verstehen.
Nur dass ich das nicht will!
»Davor habe ich Angst …«, sagt der Loser, und der Bann ist gebrochen. Nun sitzen wir wieder einfach nebeneinander. Zwei designte
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