Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
Vom Netzwerk:
stehe auf und betrachte mich im Spiegel. »Ja. Danke, Vika.«
    Im Kühlschrank suche ich vergeblich nach einer Sprite, die ist alle, es gibt nur noch Coca-Cola. Sei’s drum.
    »Viel Glück, Ljonja.«
    »Danke.«

    In großen Schlucken stürze ich das beliebteste Getränk der Welt hinunter, das – und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! – als Mittel gegen Durchfall erfunden worden ist. Urmann hat gesagt, mir blieben noch fünf Stunden. Inzwischen sind es nur noch vier. Ich kann fast körperlich spüren, wie sich irgendwo auf anderen Kontinenten alle möglichen Büroratten die Hirne verrenken, um hinter das Phänomen »Loser« zu steigen. Bald wird das dreiunddreißigste Level des Labyrinths geschlossen. Bald wird man zur Jagd auf den Loser blasen. Egal, ob er ein Programm oder ein Mensch ist. Aber ich werde ihn da rausholen.
    »Ruf mir ein Taxi«, bitte ich Vika, bevor ich die Wohnung verlasse. Ein sauberer, heller Fahrstuhl bringt mich nach unten.
    Als ich aus dem Haus trete, wartet bereits ein alter Ford auf mich. Der Fahrer ist ein geschniegelter junger Typ im weißen Hemd. Eine genaue Kopie von dem, den ich vor zwei Tagen umgebracht habe, als ich in Al Kabar eingedrungen bin. Er lächelt freundlich. Ich kann ihm kaum in die Augen sehen.
    »Ins Bordell Vergnügungen jeder Art !«, verlange ich.

100
    Wahrscheinlich hat Vika Madame überredet, mir einen Sonderstatus einzuräumen. Jedenfalls bemerken mich die drei Männer, die bereits im Foyer sitzen, als ich komme. Alle drei reißen den Kopf hoch, in ihren Augen liegt Verlegenheit und Angst. Einander sehen sie jedoch nicht, zwei überlappen sich sogar im Raum und erinnern an siamesische Zwillinge.
    Diese beiden sind schlank, haben blaue Augen und dunkles Haar, es sind Standardkörper, die Windows Home anbietet. Garantiert haben sie die gewählt, um sich zu tarnen. Der dritte ist ein dunkelhäutiger Muskelprotz, der sich eine Glatze rasiert hat. Das Einzige, was sie gemeinsam haben, ist ihr Blick. Der wirkt, als habe ich sie beim Ausdrücken eines Pickels erwischt.
    Genieße ich jetzt also die Rechte eines Puffangestellten? Darf ich Kunden sehen und mich in den Personalräumen aufhalten?
    »Hallo!«, sage ich und hebe unbestimmt die Hand. Alle drei nicken mir rasch zu. Einer der beiden siamesischen Zwillinge legt mit betont sorglosem Blick das grüne
Album zur Seite, der andere schleudert das lilafarbene weg.
    Nur der Glatzkopf blättert unbeirrt weiter das schwarze Album durch und betrachtet interessiert die Fotos.
    Kaum nähere ich mich dem Security-Typ, reißt er auch schon die Tür auf, so dass ich die Halle verlassen und die Freier von ihrer Seelenpein erlösen kann.
    Niemand begleitet mich, aber das ist auch nicht nötig, ich erinnere mich an den Weg. Der Gang ist leer, einige Türen stehen offen, andere nicht. Durch eine offene Tür sind Lachsalven zu hören. Im Zimmer erspähe ich einen Pavillon, der von blühenden Zierkirschen umgeben ist. Am Himmel strahlt eine noch nicht sehr warme Frühlingssonne, in der Ferne ist der Fuji zu sehen. In dem Pavillon trinken zwei Frauen Tee, als sie mich sehen, winken sie mir herzlich zu. »Hallo, Revolvermann! Willst du einen Tee?«
    »Nein, da… danke«, stammle ich und gehe schnell weiter. Aus einer weiteren Tür taucht eine splitternackte Frau auf, die sich dessen jedoch kein bisschen schämt.
    »Vika ist beschäftigt!«, teilt sie mir mit. »Willst du vielleicht zu mir reinkommen? Ich langweile mich fürchterlich!«
    In ihren Worten liegt nichts Anzügliches. Der Gedanke an Sex erregt sie nicht mehr als der Atemprozess. Aber in der Situation selbst liegt etwas Schreckliches. In all diesen lustigen, freundlichen jungen Frauen …
    Mit einem Mal begreife ich, an wen sie mich erinnern.
    In einem alten Science-Fiction-Roman habe ich mal was von jungen Leuten gelesen, die völlig in ihrem Beruf
aufgehen, Tag und Nacht arbeiten, freundlich und stets hilfsbereit sind, nie schlecht über andere reden …
    Dieser Roman war wie ein Vexierspiegel gewesen. Ein falsches Spiegelbild. Das Böse hat sich in das Gewand des Guten gehüllt – und komischerweise stand es ihm ausgezeichnet.
    »Danke, aber ich warte lieber bei ihr!«, antworte ich mit einem verlegenen Lächeln. »Vielen Dank!«
    Die Frau setzt ein enttäuschtes Gesicht auf und verschwindet in ihrem Zimmer. Ich marschiere weiter.
    Bis ich ein Foto mit einer kleinen schwarzen Katze sehe.
    »Miau«, flüstere ich, als ich die Tür aufstoße. Die Katze

Weitere Kostenlose Bücher