Labyrinth der Spiegel
nicht manipulierten Figuren. Soweit ich es beurteilen konnte, war sie von ihnen durch nichts zu unterscheiden.
Was aber auch nicht anders zu erwarten gewesen war.
Fünf Minuten später rief Maniac an und erklärte mir, was zu tun sei. Ich schüttelte bloß den Kopf, als ich begriff, was er mit meiner Figur Nr. 7 angestellt hatte.
Den Warlock 9000 hatte er offenbar schon seit geraumer Zeit in petto und sich für besondere Gelegenheiten aufgespart. Wenn so ein Ding erst mal in Umlauf war, würden bald Hunderte von Plagiaten auftauchen.
»Du sollst dein Bier haben …«, murmelte ich, als ich auflegte. Ob ich allerdings überhaupt noch Gelegenheit haben würde, ihm dieses Bier zu liefern, stand in den Sternen.
Schließlich wollte ich in der Tiefe einen Sturm entfachen, wie sie ihn seit langem nicht erlebt hatte.
Einen Sturm, wie sie ihn sich verdient hatte.
11
»Du hast Zugang zum Terminal«, teilte mir Vika mit. Ich klickte auf das Icon, um die Verbindung herzustellen, und schon ein paar Sekunden später war ich auf dem Server von Russia On Line gelandet.
Die Adresse, die mir der Mann Ohne Gesicht genannt hatte, kannte ich auswendig. Irgendein polnischer Server, was aber nicht das Geringste besagte. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem bloß um einen Transmitter, und mein Signal wurde auf dem Weg zu dem mysteriösen Unbekannten erst noch durch das eine oder andere Land geleitet.
Der Server besaß keine Grafikunterstützung, so dass auf dem Bildschirm gezeichnete Fratzen oder animierte Fotos fehlten. Ich bekam ein schlichtes Menü in Polnisch und Englisch geboten, mit der Möglichkeit, auf ein Dutzend weitere Sprachen zuzugreifen, inklusive Rumänisch und Koreanisch. Aber kein Russisch. Das Brudervolk hatte uns nicht gerade in sein Herz geschlossen. Ich antwortete auf die Begrüßung des Operators und bat ihn, mich mit dem »Man Without Face« zu verbinden. Eine halbe Minute
später schaltete der Operator auf die russische Tastaturbelegung um und forderte mich auf, den Namen des Abonnenten in meiner Muttersprache zu nennen.
»Mann Ohne Gesicht«, gab ich ein.
Daraufhin wurde ich von Server zu Server weitergereicht. Bei den ersten beiden gab es keine Zugangskontrolle, über die nächsten drei erfuhr ich nichts. Schließlich erschien auf meinem Monitor der Befehl »Bitte warten«. Auf Russisch übrigens.
Ich wartete eine Viertelstunde.
Die ersten fünf Minuten noch ruhig und bescheiden, dann holte ich mir aber ein Bier aus dem Kühlschrank und schob ein altes Album von Nautilus Pompilius ins CD-Laufwerk.
Ich erwache voll kaltem Schweiß
Ich erwache im Alptraumscheiß,
sang Butussow. Ein guter Sänger. Solange er nicht versuchte, die Texte selbst zu schreiben.
Dass unser Haus in Fluten untergeht
Und nur du und ich, wir haben überlebt.
Mein Traum fiel mir wieder ein, der mit dem Sänger und Alex auf der Bühne. In gewisser Weise war das ein prophetischer Traum gewesen. Aber warum hatte ich mir den Loser als Sänger vorgestellt? Im realen Leben kannte ich keine Sänger, und ich selbst sang nur, wenn ich allein war.
Dass über uns sich Wassermassen ballen,
Dass über uns Wale mit ihren Schwänzen knallen
Und der Sauerstoff für zwei nicht reicht, ich im Dunkeln treibe
Lauschend auf unsern Atem …
Ich lausche auf unsern Atem.
Ich mochte diesen Song. Er schien von meiner Tiefe zu handeln, von der virtuellen Welt, auch wenn sie vor fünf Jahren, als das Lied entstanden war, noch gar nicht existiert hatte. Außerdem hatte ich genau das jetzt vor: das Atmen zu verlernen, nicht mehr an die Schönheit des Cyberspace zu glauben.
Wer ist da?
Sofort galt meine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder dem Monitor. Ich bin’s , gab ich ohne nachzudenken ein.
Wie läuft’s, Herr Diver?
Das wissen Sie doch.
Ich würde viel dafür geben zu wissen, wer er ist, dieser Mann Ohne Gesicht.
Stimmt.
Ich schaffe das nicht.
Das ist Ihr Pech.
Nicht nur das.
Es kam zu einer kurzen Stockung, als ob der Mann Ohne Gesicht überlegte oder irgendwo die Verbindung unterbrochen worden war.
Was wollen Sie?
Ich brauche Hilfe.
Ich kann Ihnen nicht helfen. Alles, was Sie brauchen, steckt in Ihnen selbst.
Wenn er vor mir stünde, ein realer Mensch aus Fleisch und Blut, dann würde ich ihm ins Gesicht sagen, was man nur mündlich sagen sollte und besser gar nicht sagte, ich aber dessen ungeachtet jetzt in die Leere hinein aussprach. Geschrieben galt jedoch die Netiquette, so dass meine Finger tippten: Wer ist er?
Das
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