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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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maunzt leise zurück und verstummt wieder.
    Der Hütte ist leer, nur der Wind bewegt im offenen Fenster die kurzen Gardinen. Aufs Fensterbrett gestützt schaue ich lange auf die Berge.
    Das hätte ich nie für möglich gehalten! Da kreiert jemand eine ganze Welt – die völlig leer ist! Und nicht um Geld oder Ruhm einzuheimsen, nicht im Auftrag von jemandem, sondern einfach für sich. Und am Ende betritt noch nicht einmal er selbst diese Welt.
    Es reicht ihm zu wissen, dass es sie gibt. Ganz in der Nähe, direkt vorm Fenster. Funkelnder Schnee auf den Gipfeln, ein endloser blauer Himmel, Steine an den Hängen, schwarzes Moos unter den Eichen. Eine Welt der Stille, Reinheit und Ruhe. Eine Welt, in der das Wort »Dreck« nicht zu existieren scheint.
    Ich glaube, dem Loser könnte sie gefallen.
    Ich hoffe sehr, dass sie ihm gefällt.
    »Ljonja?«

    Vika tritt so lautlos ein, dass ich erschrecke.
    »Hat man dir nicht gesagt, dass ich gekommen bin?«
    Sie schüttelt den Kopf.
    »Ich wollte dich gern sehen. Ein Weilchen bei dir sein.« Automatisch fange ich an, mich zu rechtfertigen. »Ist … alles okay mit dir?«
    Vika nickt.
    »Du solltest nicht so oft in die Tiefe eintauchen«, warne ich sie und trete an sie heran. »Hast du wenigstens was gegessen?«
    »Ein bisschen. Die Kunden rennen uns heute einfach die Tür ein.«
    Sie blickt nicht zur Seite, denn sie ist längst daran gewöhnt, den Sex als Arbeit zu betrachten.
    Im Unterschied zu mir. In meiner Brust bildet sich ein kalter Klumpen aus pieksenden Kristallen, wie Schnee an Frosttagen. Ich ringe nach Atem. »Musst du wirklich so viel arbeiten … Madame?«, presse ich heraus.
    Vika tritt ans Fenster und starrt hinaus. Ohne sich umzudrehen, fragt sie: »Wie bist du dahinter gekommen?«
    »Ich habe es gespürt.«
    »Hau ab, Leonid. Hau für immer ab, ja?«
    »Nein.«
    »Was zum Teufel willst du eigentlich von mir?«, brüllt Vika, nachdem sie sich mir doch wieder zugedreht hat. »Warum bist du auf eine Freundin scharf, die Nutte ist? Verpiss dich! Meine Arbeit gefällt mir, kapiert? Ich ficke gern hundertmal pro Tag, wechsel meinen Körper, gebe den Mädchen ihre Anweisungen und tu so, als sei ich eine von ihnen! Geht das nicht in deinen Schädel rein?«

    Ich stehe bloß da und warte das Ende dieser Tirade ab. Dann gehe ich zu ihr und stelle mich neben sie ans Fenster.
    Besser, ich verkneife mir jetzt jeden Kommentar. Besser, ich berühre Vika jetzt nicht. Zu schweigen ist jedoch auch gefährlich. Trotzdem bleibt mir nichts anderes übrig. Deshalb warte ich. Wobei ich nicht mal selbst weiß, worauf.
    Plötzlich beben die Berge, fängt der Boden unter unseren Füßen an zu vibrieren. Vika schreit auf und klammert sich am Fensterbrett fest, ich lege einen Arm um sie und stemme mich mit dem anderem an der Wand ab. Ein Erdbeben. Die Schneemützen rutschen in einer weißen Rauchwolke von den Bergen, Lawinen strecken ihre Tentakel in die Tiefe. Vorm Fenster schlägt donnernd ein riesiger Felsbrocken auf.
    »Mamma mia!«, flüstert Vika und schmeißt sich auf den Fußboden. Sie ist eher aufgeregt als verängstigt. »Runter, Ljonja!«
    Ich lasse mich neben sie fallen, gerade noch rechtzeitig, denn eine ordentliche Salve aus Steinschrapnellen schießt durchs Fenster rein.
    »5,0 auf der Skala!«, frohlockt Vika. »Nein, 7,0!«
    »Mindestens 8,0!«, überbiete ich sie nochmal. Wahrscheinlich hat sie noch nie ein echtes Erdbeben erlebt, sonst hätte sie nicht einen derartigen Spaß an der Sache.
    Der Boden unter uns zittert zwar noch, aber schon schwächer, wie bei einem leichten Krampf.
    »Wow!«, flüstert Vika und streckt sich auf dem Boden aus. Sobald ich ihren Blick auffange, berühre ich mit der Hand ihre Wange. »Sei mir nicht böse, Ljonja.«

    »Bin ich nicht.«
    »Die Kunden … rauben mir manchmal den letzten Nerv.«
    »Du meinst Cappy?«, erkundige ich mich.
    »Wen sonst?«
    »Was ist das überhaupt für einer?«
    »Keine Ahnung.« Vika zuckt die Achseln. »Er hat mehrere Körper und erzählt nie was von sich. Allerdings …« Sie grinst. »Er trägt immer dieses Basecap. Daher auch sein Spitzname.«
    »Steht er auf Sadomaso?«
    »Mhm, wenn auch auf eine besondere Spielart.« Ihre Lippen formen lautlos einen kurzen Fluch.
    »Bedient ihr etwa jeden Freier? Sogar die, bei denen ihr das Kotzen kriegt?«
    Vika schweigt.
    »Ich habe gedacht, die übelsten Typen würdet ihr wegschicken. Wenn ihr Cappy erkennen könnt …«
    »Wir schicken niemanden weg.«
    »Warum

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