Labyrinth der Spiegel
Moment der Transformation kriege ich nicht mit – tauschen Vika und Madame ihre Körper. Die Frau, die von
dem schlaff dahängenden Körper zurücktritt, ist schon nicht mehr Vika, sondern Madame.
»So einfach geht das«, hält Madame mit ihrer tiefen Altstimme fest.
»Warum … muss es so ekelhaft sein?«, frage ich. »Diese Haken … dieses Leichenschauhaus … wozu das? Vika?«
Madame sieht Vika an und nickt traurig. »Ja, Vika, mein Mädchen, warum? Wollen wir es Ljonja erklären?«
Doch Vika, die mit dem Nacken am Haken aufgehängt ist, schweigt.
»Um es nie zu vergessen, Leonid. Um nicht eine Sekunde zu vergessen, dass sie tot sind.«
Ich schaue Madame an, die wesentlich ruhiger und weiser ist als Vika. Und, objektiv betrachtet, wesentlich schöner.
»Deshalb solltest du es auch mitansehen«, sagt Madame.
»Das habe ich jetzt ja.«
Wir verlassen dieses Menschenlager durch eine andere Tür, die in Madames Zimmer führt. Und damit in eine völlig neue Welt. Durchs Fenster mache ich einen Strand voller Trubel und Menschen und die glühende Sonne am Himmel aus. Das Zimmer selbst ist mit klobigen alten Möbeln vollgestopft, überall stehen offene Döschen mit Süßigkeiten, liegen Bücher, Kleidung, billiger Schmuck und goldene, wenn auch nicht massive Armreifen, halbleere Parfümfläschen sowie Spielkarten herum. Das riesige Bett mit dem Samthimmel ist ungemacht, unter ihm lugt ein Pantoffel hervor. Im Büfett steht eine Batterie angebrochener Flaschen, an der Wand hängt eine eingestaubte
Gitarre, die Perserbrücke auf dem Fußboden ist von Motten zerfressen und strotzt von Weinflecken.
»Jetzt kannst du raten, welche von uns beiden echt ist«, spottet Madame.
Auf dieses Spielchen lasse ich mich bestimmt nicht ein. Es gibt sowieso keine Wahrheit, außer der, an die wir glauben wollen.
Wir bleiben nicht in Madames Zimmer, worüber ich unendlich froh bin: Hier ist es zu stickig.
»Ljonja, manchmal habe ich den Eindruck, dass du noch sehr jung bist«, äußert Madame. »Man sollte nicht so naiv sein.«
»Warum nicht?«
»Das Leben ist hart.«
»Mir hat auch niemand versprochen, dass es leicht ist.«
Ich gehe neben Madame her und versuche mir vorzustellen, wie wir auf andere wirken. Der blasse und hochgewachsene Revolvermann könnte vom Alter her Madames Sohn sein, nur ähneln sich die beiden nicht. Wahrscheinlich sieht es aus wie der Besuch eines verkleideten Adligen in einem billigen Puff.
»Die Treppe ist steil«, warnt mich Madame.
»Ich weiß.«
Wir kommen in der Recreation Area , die Frauen unter den Sonnenschirmen begrüßen Madame mit freudigen Ausrufen. Der Schwule, der im seichten Wasser herumplanscht, winkt ihr zu. Hinter dem Bartresen kommt der verwuschelte Kopf des Computermagiers zum Vorschein, der jedoch umgehend wieder abtaucht.
»Siehst du, Vika ist nicht da«, bemerkt Madame laut. Als wolle sie mich beschützen, legt sie mir die Hand auf die Schulter. »Mädchen, Revolvermann wartet auf seine Freundin! Benehmt euch ihm gegenüber anständig!«
Der allgemeine Tenor der Antworten geht dahin, dass sich keine von ihnen mir gegenüber anständig verhalten wird, ich aber durchaus Gefallen daran finden werde. Madame droht den Frauen mit dem Finger, ehe sie sich dem Bartresen zuwendet. Als hätte der Magier nur darauf gewartet, taucht er wieder aus der Versenkung auf.
»Der Revolvermann möchte dir ein paar Fragen stellen«, teilt Madame ihm mit zärtlicher Stimme mit. »Beantworte sie ihm.«
»Alle?«, fragt der Magier zurück.
»Ja.«
»Aber nur weil Sie es verlangen, Madame!«, erklärt der Magier.
»Als ob du sonst schweigen würdest wie ein Grab«, kontert Madame seufzend.
Ich warte an einem Tisch, der etwas abseits von den anderen steht, auf den Magier. Die Frauen brauchen unser Gespräch nicht zu hören.
»Hier kommt der Sekt!«, ruft der Magier aus, als er sich mir nähert. »Hallo, Revolvermann! Du trinkst doch Schampus, oder? Ich mach mir ja nichts aus dem Zeug, das blubbert mir zu stark. Und hinterher rebelliert es in meinem Bauch!«
Er bewegt sich irgendwie merkwürdig. Sehr gleichmäßig, als laufe er über Asphalt. Ich spähe auf seine Füße – die den Sand nicht berühren. Die nackten Füße des Magiers
stecken in ausgelatschten Hausschuhen, aus denen winzige, in der Luft flatternde Flügel herauswachsen.
»Und ich trinke nur mit Frauen Sekt«, lehne ich das Angebot ab. »Gibt es Wodka?«
»Es gibt alles!« Der Magier knallt eine Flasche mit einem
Weitere Kostenlose Bücher