Lachen mit Tränen in den Augen (German Edition)
denken, nicht arbeiten, nicht ausgehen, nicht lachen, nicht auf deinen Mann eingehen, nicht für deine Tochter dasein, nichts, nichts, nichts. Du kannst nicht mehr tun, was du willst. Dein ganzes Leben ist dir in einem Augenblick fortgerissen. Deine Freiheit, deine Selbstständigkeit, deine Würde, dein Verlangen nach Liebe, nach Zärtlichkeit, nach Leidenschaft. Du willst dein Leben zurückhaben. Du willst in den Arm genommen werden, erträgst es aber vor lauter Selbstekel nicht. Du willst für deinen Mann dasein, kannst es aber nicht, weil du es einfach nicht aushältst. Du willst für deine Tochter eine Mutter sein, die für sie da ist, aber du hast die Kraft nicht, und es beschämt dich, dass dich deine eigene Tochter bemuttert.
In diesem Jahr sind wir alle älter geworden, reifer, abgeklärter. Verzweifelter. Hoffnungsloser. Aber Mark war immer für mich da. Er hat keinen Augenblick daran gedacht, mich zu verlassen.«
»Wieso bist du so sicher?«
»Wir haben eine Art Tagebuch geführt.«
Tim hob die Augenbrauen. »Gemeinsam?«
»Wie sonst?« Okay, sie erklärte es ihm: »Es fiel uns unendlich schwer, offen über die Situation zu reden, über unsere Gedanken und Gefühle. Es war für uns beide leichter, das, was uns bewegte, in einem Buch aufzuschreiben und durch lustige oder traurige Cartoons zu zeigen. Auf diese Weise hatten wir mehr Zeit, in Ruhe über unsere Wünsche nachzudenken, und wann und wie wir sie dem anderen offenbaren.«
Tim nickte langsam.
»Wünsche wie: Ich kann noch nicht wieder mit dir schlafen, aber nimm mich bitte in den Arm und halt mich fest. Oder: Streichele meine Brüste, auch wenn ich es nicht spüren kann, weil die Haut gefühllos ist. Oder: Lass uns Hand in Hand am Strand spazieren gehen, ich möchte in Ruhe mit dir reden. Oder: Lass uns ein bisschen romantisch sein: Candle Light Dinner im Palace Hotel?« Sie holte tief Luft. »In dem Buch stehen aber auch unsere Ängste: Werde ich für Mark noch attraktiv und begehrenswert sein? Oder hat er in den letzten Monaten das Interesse an mir verloren, weil ich entstellt bin?«
»Gemeinsam erlebte Sexualität ist nicht nur leidenschaftlicher Sex. Eine liebevolle Beziehung ist mehr als das.«
»Und Mark ist ein sehr liebevoller und sehr zärtlicher Partner, ziemlich romantisch und verspielt.« Sie lächelte kurz, dann wurde sie wieder ernst. »Er ist der beste Ehemann, den ich mir wünschen kann. Ein Leben ohne ihn kann ich mir nach fast zwanzig Jahren glücklicher Ehe nicht vorstellen. Wie oft hat er gesagt: ›Du bist nicht allein. Wir stehen das zusammen durch!‹ Mark stellt seine eigenen Bedürfnisse zurück und redet nicht über seine Probleme, wenn sie mich zu sehr belasten. Aber er ist immer aufrichtig. Deshalb weiß ich, wie sehr er in dieser Zeit gelitten hat.«
»Durch das Tagebuch?«
»Genau.«
»Er hatte sexuelle Hemmungen«, vermutete Tim.
»So wie ich. Es hat eine Weile gedauert, bis wir beide unsere Scheu voreinander überwunden haben.«
»Habt ihr wieder miteinander geschlafen?«
»Ja, das haben wir. Auf meiner Einjahresparty haben wir ein bisschen zu viel getrunken, haben ziemlich herumgealbert und sind schließlich im Bett gelandet. Mark hat es endlich wieder geschafft ... na ja, du weißt schon. Es war sehr schön, sehr lustvoll, sehr intensiv. Wir haben das beide sehr vermisst. Aber es war nicht mehr so unbeschwert wie früher.«
»Ihr beide habt Angst, den geliebten Menschen zu verlieren. Dass er euch verlässt. Oder dass er stirbt.«
»Ja, das auch. Aber vor allem ist es meine Verunsicherung, weil mein Körper nicht mehr so ist wie früher. Beide Brüste sind amputiert und mit Silikonkissen rekonstruiert, die unter der Bestrahlung gelitten haben. Die Narben sehen immer noch schlimm aus. Und in einigen Monaten werde ich schon wieder operiert – noch mal das alles! Neue Schmerzen, neue Wunden, neue Narben. Mark sagt, das sei alles kein Problem für ihn. Ich fände mich immer noch attraktiv. Aber kann ich ihm das wirklich glauben? Oder sagt er das, um mich nicht zu verletzen?«
»Okay, die Situation ist ziemlich schwierig. Du hast Angst, für deinen Mann nicht mehr begehrenswert zu sein. Du fürchtest die Zurückweisung. Du willst nicht enttäuscht werden und ziehst dich vor ihm zurück.«
»Ja, genau.«
»Dein Mann denkt, dass du ihn nicht erträgst und dass er dich deswegen auch nicht begehren darf, weil er dir nicht wehtun will.«
»Dabei wollen wir doch dasselbe: Lieben und geliebt werden, begehren
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