Lachen mit Tränen in den Augen (German Edition)
willst.«
»Und wie willst du leben?«
»In Würde, im Leben wie im Tod.«
Er nickte berührt.
»Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, dann wünschte ich mir, ich hätte öfter innegehalten, um den Augenblick zu genießen, statt immer nach vorn zu sehen, das Ziel vor Augen. Noch ein Buch, noch ein Erfolg, um Zufriedenheit zu finden. Noch mehr Disziplin, noch mehr Durchhaltevermögen. Andererseits – genau dieser Wille ist es, der mich in meinem Ringen mit dem Krebs stark macht. Ich werde nicht aufgeben. Nicht mein Leben. Nicht meine Träume.«
»Wie hat deine Familie auf all das reagiert?«
»Bewundernswert.«
Sie erzählte ihm, wie Lexie sich in dieser schlimmen Zeit um sie gekümmert hatte. Wie sie sich von einem Teenie zu einer selbstbewussten und verantwortungsvollen jungen Frau gewandelt hatte. Mit einem eigenen, manchmal etwas eigenwilligen Stil. Und einem klaren Berufswunsch: Lexie wollte in Stanford, einer der weltweit führenden Universitäten, Medizin studieren. Und vielleicht in die Krebsforschung gehen. Lexie wollte Leben retten und Leid lindern. Sie wollte das Leben der Erkrankten wieder lebenswert machen, so wie sie das Leben ihrer Mom in der schwersten Zeit bereichert hatte. Sie engagierte sich in ihrer Aufklärungskampagne im Internet – Mark produzierte die Videos für Shainees Website Fight-against-Cancer.com. Einen großen Teil ihres Taschengeldes spendete Lexie für die Krebsforschung und die Entwicklung von neuen Verfahren zur Krebsbekämpfung.
»Dr Alexandra Ryker, wart’s nur ab!«
Tim nickte, offenbar ziemlich beeindruckt. »Du bist sehr stolz auf sie.«
»Ja, das bin ich.«
»Deine Tochter ist ganz schön taff. Das hat sie von ihrer Mum.«
Shainee lächelte matt. »Und von ihrem Dad.«
»Und Mark? Wie geht er damit um?«
Sie zögerte. Die Frage lautete eher: Wie gingen sie beide damit um? Mit dem Schrecken, weil der Krebs gestreut hatte? Mit der Unsicherheit der neuen Situation nach fast zwanzig Jahren Ehe? Mit den unausgesprochenen Wünschen und den uneingestandenen Ängsten und Schuldgefühlen? Mark und sie waren sexuell nicht mehr so unbefangen und spontan wie zuvor. Aber wie sollte sie mit Tim darüber sprechen? Es fiel ihr doch schon schwer, mit Mark über ihre intimsten Sehnsüchte zu reden.
»Der Stress der vielen Operationen, die Torturen der Chemo und der Bestrahlung hat mir die Lust am Sex genommen.« So, jetzt war es heraus! »Körperlich wie geistig habe ich mich schlecht gefühlt. Einerseits wegen der Medikamente, die ich eingenommen habe. Andererseits wegen des Verhaltens einiger meiner besten Freunde, die sich mit dem Leiden, das sie selbst treffen könnte, lieber nicht auseinandersetzen wollten. Der wohlige Grusel und die ehrliche Anteilnahme waren nach wenigen Tagen vorbei. Dann änderte sich ihr Verhalten: Sie hielten Abstand. Ich ging ihnen auf die Nerven, weil ich nicht gut drauf war und hin und wieder geheult habe. Die Maske der fröhlichen Gelassenheit, die ich wochenlang getragen habe, hatte ihnen besser gefallen. Ein Lächeln tut nicht so weh wie Tränen, verstehst du?«
»Es regt nicht zum Nachdenken über das eigene Leben an.«
»Genau. Meine Einstellung zu vielen Dingen veränderte sich in diesen Wochen, auch die zu meinen Freunden. Ich habe mich zurückgezogen, um mich auf die neue Situation einzustellen. Wenn du nicht aufpasst, zerbrechen in dieser Phase Freundschaften wegen kleiner Vorkommnisse wie einer Mail mit dem Betreff ›Lebst du noch?‹. Du wirst feinfühliger, verletzlicher, und du kannst nichts dagegen tun. Du wirst still und in dich gekehrt, und denkst viel nach. Ein Wort kann viel kaputtmachen. Du lernst, was echte Freundschaft bedeutet.
Mein Bruder und ich sind uns damals sehr nahe gekommen. Hayden, der eigentlich in New York lebt, ist nach San Francisco gekommen, um mich zur Chemo zu begleiten. Wir haben stundenlang geredet. Mein Bruder hat mir sehr geholfen, mit allem klarzukommen. Er hat auch mit Mark gesprochen. Die beiden fahren Trekking Bike und unternehmen gemeinsam lange Touren durch Marin County. In den Verschnaufpausen haben sie lange Gespräche geführt. Mark und Hayden verstehen sich prima.«
»Ist Hayden älter oder jünger als du?«
»Ein Jahr jünger.«
Tim nickte versonnen. »Hattest du Angst, dass Mark dich verlässt?«
Sie zögerte einen Augenblick, dann schüttelte sie den Kopf. »Während der Chemo bist du erschöpft, du hast Schmerzen, dir ist schlecht, du bist schwach, du kannst nicht mehr geradeaus
Weitere Kostenlose Bücher