Restaurant gegenübersaßen und sich eine Platte mit Seafood teilten. Shainee war begeistert, als er ihr von seinen Plänen für diesen Abend erzählte. Eine Offroad-Tour in den Bergen und Grillen am Lagerfeuer im nächtlichen Dschungel, in der Nähe der Wasserfälle? Wie aufregend! Tolle Idee, Tim! Na klar, das machen wir!
In Taravao, auf der Landenge zwischen den beiden Inselteilen Tahiti Nui und Tahiti Iti, streiften sie eine Stunde später durch einen Supermarché und kauften für ihre Safari Tour und ihr All-you-can-eat-Dinner ein: Fleisch und Fisch, französische Baguettes, Tomaten und Zwiebeln für einen Salat, Süßkartoffeln für Baked Potatoes, ein Sixpack Hinano-Bier, Gewürze, Alufolie, Pappteller und Plastikbesteck.
Während Shainee sich in ein Kochbuch vertiefte und das Rezept für eine süße Kartoffelcreme mit Vanille-Geschmack zu den Thunfischsteaks mit ihrem Handy abfotografierte, stöberte Tim bei den Büchern herum. Und tatsächlich – dort im Regal stand einer ihrer Romane. Sein Französisch reichte gerade mal zum Überleben in Haiti und Kambodscha, aber er kaufte das Buch trotzdem.
In die Heiterkeit, die auf ihrem entspannten Gesicht lag, als er das Taschenbuch in den Einkaufswagen warf, mischte sich jetzt ein anderes Gefühl, das er nicht gleich deuten konnte. Ihre Lippen waren verkniffen und ihre Schultern verkrampft, als sie ihre Einkaufstüten auf der Ladefläche des Ford Ranger verstauten. Während sie vom Parkplatz fuhren, starrte sie aus dem Seitenfenster und schwieg. Na klar, Shainee war traurig, dass sie beide nur noch heute für sich und ihre Gefühle füreinander hatten. Und dass schon morgen alles vorbei sein sollte.
Ich wäre auch traurig, dachte er beklommen, als er hochschaltete und beschleunigte. Und wie.
»Heute, mein Sternchen ...«, flüsterte sie wehmütig, während sie im Schlafzimmer die Kerze entzündete. »... wäre dein erster Geburtstag.«
Jodi sah auf die Uhr neben Tims Bett. Es war so weit. Es war zwölf – in Tahiti war es schon nachmittags um vier. Sie nahm ihr Handy, setzte sich aufs Bett und wählte seine Nummer. Es klingelte. »The person you ...« Ach ja, Tim hatte sich keine SIM-Karte besorgt. Er wollte in Ruhe über alles nachdenken.
Sie legte auf und warf ihr Handy aufs Bett.
Ob er daran denkt?, fragte sie sich. An Sienna? Unser Sternchen? Jetzt gerade?
Auf der Bettdecke zog sie das Notebook zu sich heran und öffnete Google Earth. Vor dem schwarzen Sternenhimmel erschien die Welt. Sie drehte sie, bis Australien zu sehen war. Ein bisschen näher heran: Da war Sydney. Im Menu wechselte sie zu Google Sky, und die Sterne wirbelten ihr entgegen. Das Kreuz des Südens erschien. Und da war ihr Sternchen. Eine kleine rosa Markierung zwischen fernen Sonnen, Sternennebeln und Galaxien. Ein Name. Eine Erinnerung an ein nie gelebtes Leben.
Sienna Winslow.
Tim und sie hatten ihre Erinnerungen an ihr verloren gegangenes Sternchen nicht einer dieser Gedenkstätten im Internet anvertrauen wollen, in denen zwischen trostlosen Gedichten und traurigen Bildern virtuelle Kerzen flackerten. Sie wollten nicht öffentlich trauern, in einem Blog, wo jeder ihren Schmerz kommentieren konnte, sondern ganz privat. Ohne Gästebuch, ohne Links zu Worldwide Candle Lightning, ohne Facebook-Fotogalerie. Tim hatte die Idee gehabt, ihrer Tochter im Sternenhimmel zu gedenken, im Kreuz des Südens, in einer kleinen Galaxie mit dem hübschen Namen Jewel Box, Schmuckkästchen – auf Google Sky. Eine schöne und tröstliche Vorstellung.
Ihr Kind als funkelndes Sternchen in einem Schmuckkästchen am Himmel.
Ob Tim daran gedacht hatte? Jodi klickte von Google Sky zu ihrem Hotmail-Account. Da, eine Mail von Tim!
Von: Flydoc
[email protected] An: Homebase
[email protected] 17.06.2011 / 02:19
Betreff: Unser Sternchen
Jodi, in Gedanken bin ich jetzt bei Dir und Sienna. Der Verlust unseres Kindes hat eine tiefe Wunde gerissen, und der Schmerz wird wohl nie vergehen.
Aber unser Sternchen hinterlässt Spuren in unseren Herzen, die nie mehr verwehen. Sienna ist das Band, das uns immer noch zusammenhält. Daran glaube ich. Daran halte ich mich fest. Ich werde nicht zulassen, dass es irgendwann zerreißt.
Ich liebe Dich, Tim
Gerührt schloss Jodi die Mail. Dann sprang sie auf, ging zur Kommode neben dem Bett und zog die oberste Schublade auf. Darin lag eine rosa lackierte Pappschachtel. Mit kleinen Glitzersternchen und flauschigen Engelsdaunen beklebt.