Bestsellern war noch offen. Shainees letztes Buch musste er nicht lange suchen. Seit Monaten stand es ganz oben auf der Liste: diese Woche schon wieder Rang 2. Die Kritiker waren begeistert, die Leser ließen Amazon-Sternchen auf sie niederrieseln, das Buch war in zweiundzwanzig Sprachen übersetzt worden, und Paramount hatte sich die Filmrechte gesichert. Für die Besetzung der Hauptrolle war Cosmopolitan zufolge Kate Winslet im Gespräch, den Soundtrack würde Life gemäß Hans Zimmer komponieren, der Regisseur stand noch nicht fest.
Zehn Bestseller in zehn Jahren, konnte er bei Wikipedia nachlesen, bevor er auf ihrer Website in ihr Leben eintauchte, um zu erleben, was sie erlebt hatte, um mit ihr für UNICEF um die ganze Welt zu reisen. Ihr Megaerfolg begann offenbar, als sie anfing, über sehr persönliche Erfahrungen zu schreiben. Über eine Frau, die fürchtet, von ihrem Mann verlassen zu werden, und einen Mann, der sich aus seiner Affäre herauswindet, um reumütig zu seiner Familie zurückzukehren.
Und jetzt?, fragte sich Tim. Welche Erfahrungen des letzten Jahres wird sie in ihr nächstes Buch einarbeiten? Ihre Gefühle während der Monate ihrer Krankheit? Ihre Wünsche auf der Rückseite der Postkarte? Die Geborgenheit, die Mark ihr schenkt? Das Herzklopfen, das sie in meinen Armen empfindet?
Als er weitergoogelte, stieß er auf eine Homestory des Traumpaares Shainee und Mark Ryker mit einer Classic Revival Mansion in der Pacific Avenue in San Francisco mit Eleganz und Stil und traumhaftem Blick über die Bay, mit einem roten Porsche und einem schwarzen Lexus mit weißen Ledersitzen. Trotz Glamour und Luxus, trotz des Erfolgs und der Publicity wirkten die Fotos von Shainee und Mark erstaunlich ... ja wie? Authentisch. Gefühlvoll. Das aufgeregte Tuscheln der beiden kurz vor dem ›... and the Oscar goes to Mark Ryker‹ war einfach anrührend. Und das Foto von Mark, der auf dem roten Teppich niederkniete, um die Schleppe von Shainees Abendkleid zu richten, war ... wie würde Kyle sagen? ... so was von lässig und cool. Ja, es waren die kleinen Gesten, die Tim anrührten: Auf dem schicken weißen Designersofa in Shainees Arbeitszimmer hielten a girl and a boy next door in legeren Jeans und Shirt glücklich lächelnd Händchen. Das war nicht gestellt, ganz sicher nicht. Das Leuchten in ihren Augen, als sie sich ansahen, diese Geste inniger Verbundenheit war echt: Freundschaft und Liebe. Das traf ihn ins Herz.
Als er heute Nacht in seinen Bungalow zurückgekehrt war, hatte er keine Nachricht von ihr gefunden. Er wusste nicht, ob sie ihn gesucht hatte. Oder versucht hatte, ihn anzurufen. Oder ...
Tim atmete tief durch. Dann öffnete er Windows Live – vielleicht hatte sie ihm eine Mail geschrieben?
Nein.
Aber da war eine andere Mail von gestern Abend.
Von: Rugby Star
[email protected] An: Daddy
[email protected] 17.06.2011 / 20:22
Betreff: Wo stekst du?
Daddy, bitte ruf mich ganz bald an. Mus dir nähmlich was erzälen. Hab dich ganz doll lieb. Kyle
Kyle hatte einen eigenen Mail Account? Oh, Laird!
Ein Blick zur Uhr: In Sydney war es jetzt kurz vor sechs. Aber Tim skypte trotzdem. Der Kleine würde sowieso bald wach werden und ins elterliche Bett kriechen, um wie jeden Sonntag noch ein bisschen mit Mummy und Daddy zu kuscheln. Würde Laird mit ihm im Bett herumtollen und dann mit ihm zum Frühstücken zu McDonalds fahren? Tim schluckte seine Verbitterung herunter und lauschte dem sanften Rufton.
Ah, der Videoscreen öffnete sich. Zuerst war nur ein zerknautschtes Kopfkissen zu sehen, dann tauchte Kyle mit zerwuschelten Haaren auf. Offenbar hatte er den Anruf erwartet und das Notebook online mit ins Bett genommen. Kyle sah besonders süß aus in dem niedlichen Kangaroo Jumper mit eingesticktem Skippy, den er von Mark Rykers Casting Team bekommen hatte.
»Hallo, Daddy!«, freute sich Kyle und rieb sich, noch etwas verschlafen, die Augen.
»Hallo, Rugby Star!«
Mit großen Augen guckte Kyle ihn erwartungsvoll an. »Hast du meine Mail gelesen?«
»Na klar.«
»Laird hat mir dabei geholfen.«
Autsch! »Das dachte ich mir schon.«
»Ich habe über Skype angerufen, aber du warst nicht da.«
Das tat echt weh! »Tut mir leid, Kyle.«
Der Kleine zog den rechten Mundwinkel immer so niedlich hoch, wenn er traurig war.
»Laird und du, wie kommt ihr miteinander aus?«
Kyle legte den Kopf schief und zuckte unschlüssig mit den Schultern. »Gestern Abend war er ziemlich cool
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