tröstenden Berührungen. Sie hatte manchmal nicht einmal angesehen werden wollen und hatte den Blick in den Spiegel gemieden, weil sie Angst hatte, nicht mehr weiblich zu wirken, nicht mehr attraktiv und sexy zu sein – sie nannte es: entstellt.
Der Schmerz saß tief, tiefer als ein Skalpell schneiden kann.
Nein! Ich rufe sie nicht an!, dachte er resigniert, blieb aber trotzdem vor dem Laptop stehen. Doch! Ich bin ihr Mann, ich kann sie anrufen, wenn ich es will, dachte er trotzig.
Ja? Nein?
Ich hätte mit ihr nach Tahiti fliegen sollen. Wir hätten eine Chance gehabt, unsere Gefühle füreinander neu zu entdecken. Vielleicht auch wieder miteinander zu schlafen. Uns die Lebensfreude zu schenken, die uns in den letzten Monaten fortgerissen wurde. Glück und Zufriedenheit.
In Gedanken versunken zog Mark sich aus, hängte die Chinos über die Stuhllehne, warf das Hemd in den Wäschekorb und zog sich das Shirt über, das er nachts immer trug. Shainee hatte es ihm in ihrem letzten gemeinsamen Urlaub gekauft. Vor zwei Jahren. In Alaska.
Wir waren so glücklich gewesen.
Ich will, dass wir es wieder sind. Dass sie zu mir zurückkehrt. Sie fehlt mir so.
Langsam öffnete er die Türen ihres Kleiderschranks und vergrub sein Gesicht in ihren Blusen und Shirts. Er schnupperte an den weichen Stoffen, aber er roch nicht Shainees Duft, sondern nur den Weichspüler. Er zog ein Shirt vom Bügel und warf es über den Stuhl auf ihrer Seite des Bettes. Dann holte er ein paar Sandalen und stellte sie unter den Stuhl. Ja, so war’s gut – es sah so aus, als hätte sie die Schuhe lässig von den Füßen gekickt. Ein paar Spritzer ihres Parfums über das zerwühlte Bett, und die Illusion, sie wäre gerade noch hier gewesen, sie hätte nur eben den Raum verlassen, nicht ihn, war perfekt.
Die Illusion, nicht allein zu sein, traurig, einsam.
Ein Jahr lang hatte er gehofft, dass alles so werden könnte wie früher. Dass sie ganz neu anfangen könnten. Dass ihnen noch Jahre blieben ...
Mark zog ihren Brief, den sie vor ihrer Abreise in das Tagebuch gesteckt hatte, aus der Schublade. Sein Blick huschte über die Zeilen:
Während der schlimmsten Zeit meines Lebens hast Du mir zur Seite gestanden, hast meine Hand gehalten und mein Herz berührt. Du hast mit mir gelacht, und du hast mit mir geweint.
Mit dem Brief kroch er ins Bett.
Danke für diese große Liebe, Mark. Für Deine Treue und Deine Geduld mit mir. Für Deine Großzügigkeit und Deine Aufrichtigkeit. Für das Glück und die Lebensfreude, die Du mir jeden Tag geschenkt hast. Danke, dass Du mein Leben bereichert hast und dass Du schöne Erinnerungen erschaffen hast, die ich am Ende mitnehmen kann.
Danke für das Jahr, das nun endlich hinter uns liegt. Und danke für all die Jahre, die noch vor uns liegen.
Er kämpfte mit den Tränen, als er ihre letzten Worte las:
Dies ist kein Abschied, Mark, noch nicht. Ich komme bald zurück, mein Liebster, zurück zu Dir. Shainee
Eine Weile saß er mit dem Brief im Bett, dann zog er das Laptop heran und öffnete seinen Mail Account.
Von: Mark
[email protected] An: Shainee
[email protected] 18.06.2011 / 23:57
Betreff: │
Der Cursor blinkte, aber er wusste plötzlich nicht mehr, was er schreiben wollte.
Sie liebt einen anderen.
Und ich habe das Gefühl, dass mein Leben erneut über mir einstürzt und mich, meine Hoffnungen und Träume, unter den Trümmern begräbt.
Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und der Druck in seiner Brust ließ ein wenig nach.
Was sollte er tun? Was konnte er denn tun?
Da musste er nicht lange überlegen. Er schloss die Mail und öffnete den Internet Explorer ...
Heiß duschen, und die warmen und weichen Tropfen wie leuchtenden Sommerregen auf der Haut spüren! Wie entspannend nach dem wunderschönen, aber anstrengenden Tag!
Mit einem Lächeln genoss Shainee das Streicheln der herabrinnenden Tropfen.
Und dieser Tag war noch nicht vorbei! Das Schönste kam erst noch: ein nächtlicher Streifzug mit Tim, in einer halben Stunde. Hand in Hand am Strand entlanggehen, im Mondlicht die Nähe des anderen genießen, die Berührungen spüren, die Gefühle erahnen. Und hoffen ... und träumen ... von Bora Bora und von Tim, der sie noch weiter begleitete ... aber würde er das?
Oder saß er jetzt gerade vor seinem Notebook und buchte den Flug über Auckland nach Sydney, den sie