Lackschaden
nebenher für Ärzte ohne Grenzen arbeite. Okay – das war wirklich dick aufgetragen, aber wenn man mit der Schwindelei erst mal angefangen hat, bekommt die schnell eine gewisse Eigendynamik. Einmal, als ich von einem Einsatz in Nigeria berichte, wird es ein wenig riskant. Willem, der Lustigste der drei, war eine Weile in Nigeria und will Details wissen. Zum Glück habe ich mal spaßeshalber die Hauptstädte der Welt auswendig gelernt und kann so wenigstens die Frage nach meinem Aufenthaltsort beantworten.
»Ach, das war in der Nähe von Abuja, aber die Geschichte ist ein wenig traurig, das passt heute Abend gar nicht. Erzählt ihr lieber mal, was ihr so treibt!«
Bereitwillig geben sie sehr lustige Geschichten rund um ihren Coffeeshop zum Besten. Die drei sind Eigentümer eines Ladens in Amsterdam. Bis ich kapiert habe, dass in den Coffeeshops ein Latte macchiato nicht zu den gefragtesten Artikeln gehört, vergeht eine ordentliche Weile.
»Ihr verkauft Haschisch?«, frage ich irgendwann ziemlich naiv. Dass eine wellenreitende, engagierte Neurochirurgin so gar keine Ahnung davon hat, was ein Coffeeshop in Amsterdam ist, erheitert meine drei neuen Freunde wirklich ausgesprochen. Als sie gegen Viertel vor Elf in einen Club aufbrechen wollen, versuchen sie noch mal, mich zum Mitkommen zu überreden. Die Versuchung ist groß, aber ich bin müde.
»War eine riesige OP heute – am offenen Gehirn. Die Patientin war bei Bewusstsein, harte Nummer, und morgen muss ich wieder ran, tut mir leid, Jungs, es geht nicht.«
Zum Abschied schenken sie mir ein paar Pilze.
»Die sind ganz besonders, magic geradezu. Du kannst sie mit Ei braten. Und iss sie zusammen mit jemandem, den du magst. Aber an einem freien Tag, ohne OP «, fügt einer der drei, mit dem lustigen Namen Mees, noch hinzu.
Ein ulkiges Geschenk. Aber Holländer sind nun mal ein schräges Volk. Ich bedanke mich und entscheide mich, auch zu gehen. Der Abend war wunderbar. Ich stecke die Pilze zum Jaguar und fühle mich wie berauscht, obwohl ich den ganzen Abend über nur zwei Sauergespritzte mit viel Wasser getrunken habe. So einen abgefahrenen Abend hatte ich lange nicht mehr!
Aber bald wieder, beschließe ich und fahre nach Hause.
Da ist der Spaß fast augenblicklich vorbei. Die neue Tür ist montiert, nur habe ich ja leider keinen passenden Schlüssel und muss deshalb klingeln. Rudi macht mir auf:
»Ei, Andreaschen, wo kommst de denn jetzt her?«, will er wissen. Dabei ist es gerade mal halb Zwölf.
Neben ihm wedelt Karl, vor lauter Freude mich wiederzusehen, mit dem Schwanz. Ich muss zugeben, das ist etwas wirklich Nettes bei Hunden. Diese Begeisterung, wenn man nach Hause kommt. Egal, wie kurz oder lange man weg war – der Hund ist geradezu von Sinnen vor Freude.
»Soll ich ihn noch mal rauslassen?«, biete ich Rudi an.
»Gern, lieb von dir!«, antwortet er, und wie er so vor mir steht, dieser kleine, freundliche, alte Mann mit dem traurigen Gesicht und seinem Frottee-Pyjama will ich ihn am liebsten einfach nur knuddeln.
»Übrigens«, ergänzt er dann noch, »isch glaub, mein Junge mag die Tür net. Der war komisch heut. Aach, weil du net da warst.«
Tja, da wird er sich wohl dran gewöhnen müssen – ab jetzt bin ich nicht mehr rund um die Uhr verfügbar.
Als ich mich ins Schlafzimmer schleichen will, ist Christoph noch wach und liest. Ein Golfbuch. Mentales Training!
»Wo kommst du denn her?«, fragt er ein bisschen spitz.
»Aus Sachsenhausen. Ich war was trinken. Es war soo nett!«, antworte ich heiter.
»Hier war es nicht so nett!«, knurrt er. »Hast du dir diese grauenvolle Tür mal richtig angeguckt? Mein Vater behauptet, dir würde sie sehr gut gefallen!«
Ich gebe zu, die Tür gesehen zu haben. »Ich wollte, dass du das mit der Tür entscheidest!«
»Morgen kommt die sofort wieder raus. Das ist ja wohl das Geschmackloseste was ich je gesehen habe!«, ereifert sich mein Mann. »Und nebenbei gefragt, Andrea, wusstest du, dass unsere Tochter mit der Schule aufhören will?«
»Lass uns morgen darüber reden, ich bin müde, es war ein langer Tag!«, antworte ich und beende das Gespräch.
Es war wirklich ein langer Tag. Und es war ein Tag, der mir gezeigt hat: Ja, da geht noch was …
2
»Du weißt«, sagt Christoph am nächsten Morgen, »heute Abend kommen die Dollingers zum Essen!«
Ich wusste es, hatte es aber meisterhaft verdrängt. Schon, weil ich mir nicht besonders viel aus den Dollingers mache. Er, Lukas Dollinger,
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