Lackschaden
Mal mehr, mal weniger dezent. Eine winzig kleine Tätowierung lasse ich mir ja noch gefallen, aber großflächige Inschriften mag ich nicht. Da lese ich lieber ein Buch. Männer mit Beschriftung haben etwas Verstörendes. Was Haare angeht, bin ich nicht so speziell. Ich habe auch nichts gegen keine Haare. Lieber eine ordentliche Glatze als diese mühsame Resthaarverwaltung. Drei Haare sorgsam gelegt sind peinlich. Bärte sind nicht mein Schönstes, aber kein Ausschlusskriterium. Figürlich, wenn möglich, nicht zu dünn. Sonst fühle ich mich dick, und das tut mir nicht gut. Ich möchte keinen Mann, der wie Karl Lagerfeld in eine 26 er Jeans passt. Schon der Gedanke macht mir schlechte Laune. Das Problem mit dem Zu-Dünn-Sein haben hier am Strand allerdings die wenigsten Männer. Die meisten haben eine ordentliche Wohlstandswampe, tragen sie aber sehr ungeniert vor sich her. Wo sind nur all die Mens-Health-Cover-Boys, wenn man sie mal braucht? Hier jedenfalls nicht.
Nein, wirklich attraktiv finde ich hier keinen. Ich gebe den »Strandjungs« Noten. Nur so zum Spaß, und um mich zu beschäftigen. Wenn ich von einem Mann hören würde, dass er am Strand liegt und Frauenkörper benotet, wäre ich mit Sicherheit die Erste, die Hassschaum vor dem Mund hätte. Aber bei mir ist es selbstverständlich etwas völlig anderes …
Bei mir ist das nur ein reines Gedankenspiel, mit dem ich mich auf ein mögliches Singledasein einstelle. Rein prophylaktisch sozusagen. Man könnte auch meinen als abschreckende Maßnahme. Bei dem, was ich hier sehe, muss ich Sabine uneingeschränkt recht geben. Die Auswahl ist, positiv formuliert, bescheiden.
Inzwischen schmore ich seit etwa eineinhalb Stunden in der prallen Sonne, und noch immer ist Christoph nicht aufgetaucht. Will er abwarten, bis ich durchgebraten bin? Bis es dunkel wird, und er sich keinen Sonnenbrand mehr holen kann?
So oder so, es scheinen jedenfalls sehr große Sportanlagen zu sein, die der Club hier hat.
Nach zweieinhalb Stunden habe ich das komplette Männermaterial mehrmals gründlich gescannt, bin im Meer gewesen, nur bis zum Hals allerdings, und mein Körper schimmert in einem satten Rosa. Es reicht. Immer noch kein Christoph weit und breit. Trotz Sonne und Meerblick steigt ein Hauch von Ärger in mir auf. Wo steckt der bloß? Soll ich jetzt kreuz und quer durch die weitläufige Anlage laufen, um Christoph zu suchen?
Ich werde aufs Zimmer gehen, mich umziehen und dann zum Essen gehen. Ich habe nach meinem kleinen Bissen Flugzeugbrötchen nämlich verdammten Hunger. Das ist ein Zustand, in dem ich etwas ungemütlich werden kann. Deshalb gelte ich in Diät-Phasen auch als nicht gesellschaftsfähig. Fast schon als gefährlich. Eine große Gruppe aus diätenden Frauen könnte man weltweit in jede Armee bestens integrieren. Geködert mit ein paar Kohlenhydraten oder einer schönen warmen Mahlzeit mit Sättigungsbeilage wären Frauen zu sehr vielem fähig.
Kaum stehe ich unter der Dusche und begucke meinen Körper, der vom Hautton her Miss Piggy Konkurrenz machen könnte, betritt Christoph das Bad.
»Meine Güte, was ist denn mit dir passiert?«, fragt er mit Blick auf meinen Körper.
Ich denke selbstverständlich, er meint meine Haut und nicht die Spuren, die die Zeit in den letzten Jahren hinterlassen hat.
»Ich habe am Strand auf jemanden gewartet! Das ist mit mir passiert!«, antworte ich und bin selbst überrascht, dass unsere Gespräche neuerdings immer einen kleinen kämpferischen Unterton haben.
»Meine Güte«, reagiert auch Christoph sofort genervt, »ich habe zufällig den Fritz und den Lukas auf der Driving Range getroffen, da wird man sich ja mal unterhalten dürfen.«
»Jeder setzt seine eigenen Prioritäten!«, kontere ich blitzschnell und habe das Gefühl, einen Punkt gemacht zu haben.
»Früher warst du nicht so kleinlich! Aber lass uns diese unerfreuliche Debatte verschieben, ich habe Hunger!«, sagt Christoph und zieht die Tür zum Schlafzimmer hinter sich zu. Ich dusche zu Ende und creme meinen geschundenen Körper gründlich ein. Morgen könnte ich ohne alles zum Pool gehen. Ich trage einen Badeanzug aus weißer Haut, der sich herrlich vom, mittlerweile satten, Pink des restlichen Körpers abhebt. Ich bin eine Art menschliches Colour-Blocking. Wenn ich zu meinem Pink den orangefarbenen Bikini tragen würde, könnte ich auch als Warnsignal im Straßenverkehr arbeiten.
»Wir treffen die Heines und die Dollingers in fünfunddreißig Minuten im
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