Lackschaden
wenn es ihn zugänglicher macht, dann ist es einen Versuch wert. Ich lasse mich weder von meiner Familie noch von meinen Hormonen bezwingen.
Ich stelle mir vor, ich wäre Schauspielerin. Meine aktuelle Rolle: Eine große, gutaussehende, erfolgsverwöhnte Frau mit immensem Selbstbewusstsein auf dem Weg zum Pool. Sie will ihren Mann überraschen, der so gar nicht mit ihr rechnet.
Der Erste aus unserer kleinen Reisegruppe, den ich treffe, ist Fritz. Er steht in hübschen, blau-weiß gestreiften Badeshorts und mit Sonnenbrille am Beckenrand. Das aufgesetzte Selbstbewusstsein bekommt schon erste Risse.
»Hallo, Andrea«, begrüßt er mich, »na, schönen Tag gehabt?«
Er schiebt sich die Sonnenbrille in die Gelhaare und mir fällt wieder ein, was dieser Fatzke damals zu mir gesagt hat: »Sind das die Wechseljahre oder brauchst du mal wieder einen ordentlichen Fick?« Er hat eindeutig all das, was ich getan habe, verdient, und an sich würde ich ihm rückwirkend am liebsten noch mal ordentlich eine verpassen. Aber ich habe ja eine Rolle: Ich bin groß, attraktiv und entspannt. Eine souveräne, selbstbewusste Person.
»Ja, war ganz nett!«, antworte ich, meiner Rolle entsprechend, und ergänze: »Ich habe gehört, das Golfspiel war ein Erfolg.«
Mir soll keiner vorwerfen, ich würde Gespräche abblocken. Er lacht.
»Übrigens, Andrea, was ist dein Lieblingstier?«
Was will er denn jetzt? Ist das ein klitzekleiner Psychotest, nach dem Motto: Nenn mir ein Tier, und ich sage dir, wer du bist. Mein Lieblingstier? Eine Frage, über die ich noch nie intensiv nachgedacht habe. Hund zu antworten, wäre vielleicht zu profan. Hat so was Durchschnittliches. Wahrscheinlich sagen die meisten Menschen, vor allem die meisten Deutschen, Hund. Will man wie alle sein? Nein. Katze klingt nach Studienrätin ohne Mann mit leichtem Oberlippenflaum und Hase nach kleinem Mädchen.
»Da muss ich mal überlegen!«, weiche ich einer Antwort aus.
»Soll ich dir vielleicht einen Vorschlag machen?«, fragt Fritz.
Einen Vorschlag für mein Lieblingstier? Habe ich einen Sonnenstich, oder unterhalten wir uns tatsächlich über Tiere?
»Ich glaube, du magst Raubkatzen!«, grinst er mich an.
Raubkatzen? O Gott, Raubkatzen! Der hat mich erkannt. Ein Jaguar ist eindeutig eine Raubkatze!
»Nein, also Raubkatzen sind so gar nicht mein Ding!«, sage ich und mein Blick gleitet über den Poolbereich. »Äh, Biber, Füchse, Giraffen und, äh, Zebras finde ich faszinierend«, stammle ich.
Was für ein Schwachsinn. Biber! Füchse, Giraffen und Zebras! Blöder geht’s ja kaum noch.
»Biber?«, sagt er nur. »Biber?«
»Ach, da sind ja die anderen! Hallo ihr zwei!«, winde ich mich aus dem Nager-Dilemma.
Selten habe ich mich so gefreut, Gaby und Lukas zu sehen. Die beiden sind im Pool und winken freundlich. Ich reiße mir das Kleid vom Leib, werfe es auf eine Liege und springe ins Wasser. Flucht ist erst mal gut, denke ich. Ich brauche Zeit zum Überlegen. Eventuell überinterpretiere ich die Raubkatzenaussage auch. Vielleicht findet er mich nur so wahnsinnig wild und aufregend, und es war eine Art verstecktes Kompliment. Unwahrscheinlich – aber wer weiß. Am liebsten würde ich untergetaucht bleiben bis Fritz weg ist. Aber wie soll ich ihm nur die restlichen Tage aus dem Weg gehen? Ich kann ja schlecht eine Woche komplett abtauchen. Leugnen, leugnen, leugnen muss meine Devise sein. Er hat schließlich keinerlei Beweise. Den Jaguar habe ich nicht mit, und es wird schon keine Hausdurchsuchung geben. Gaby und Lukas kichern, als ich auftauche. Ich lache freundlich zurück, bis ich merke, dass meine linke Brust ein wenig aus dem Badeanzug schielt. Ich tauche direkt wieder ab. Erst das Raubtier-Biber-Desaster und jetzt Nipplegate auf Mallorca. Ich packe unter Wasser alles wieder schön an Ort und Stelle. Wie peinlich! Oben ohne vor Lukas und Gaby.
Als ich auftauche, sehe ich Fritz, wie er auf Christoph einredet. Bestimmt will er wissen, was ich für ein Auto fahre. Die Beweiskette schließen. Christoph wird entsetzt sein, wenn er die Geschichte hört. Sie war mir ja schon unangenehm, bevor ich wusste, dass es der Jaguar von Fritz war. Früher hätte ich Christoph eine solche Geschichte erzählt. Der Christoph von damals hätte mit mir darüber gelacht. Ich bereue, die Jaguar-Kratzgeschichte zutiefst, allerdings nicht, weil Fritz es nicht verdient hätte (und ehrlich gesagt hat es mir ja auch Spaß gemacht und meine niederen Rachegelüste befriedigt),
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