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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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beantworten, aber es ist schön, so gefragt zu werden."
    Friederike kicherte. Sie hätte die Frage auch nicht beantworten können. Hubert war ja erst seit drei Tagen tot.
    9.12 Uhr
    Noch genügend Zeit. Tanzmusik hallte durch das Haus. Radio Elf war mit ihr. Für ihre vierundsechzig Jahre war sie noch ganz schön beweglich. Fand sie. Wieder und wieder drehte sie sich vor dem Spiegel. Schwarz stand ihr gut. Nicht nur, dass Schwarz schlank macht, wie ja jeder weiß.
    Die Kleider bildeten auch einen interessanten Kontrast zu ihrer Blässe. Schwarz gab ihr Persönlichkeit. Friederike war zufrieden mit sich und fuhr fast beschwingt fort, die Bilder ihres Mannes einzusammeln, die verstreut über die ganze Wohnung in allen möglichen Ecken und Winkeln hingen. "Hubert mit dreißig Jahren" klappte sie gerade zusammen.
    Stattlich war er gewesen. Immer schon sehr schwer. Und stark. Und so charmant. Während ihrer langen Ehe hatte sie sich nicht einmal den Mantel selbst aus- oder anziehen müssen. Immer stand Hubert bereit, wenn sie sich setzen oder aufstehen wollte, rückte ihr höflich den Stuhl zurecht. Ein Kavalier der alten Schule.
    Allerdings leider nicht nur ihr gegenüber. Wie gekränkt war sie anfangs darüber gewesen, dass sein besitzergreifender Charme durchaus auch anderen Frauen gegolten hatte. Vage erinnerte sie sich sogar an den Ekel, den sie empfand, wenn er zärtlich wurde des Abends oder des Nachts und dann über sie herfiel. Ekel hatte sie gefühlt.
    Aber es hatte nicht genützt. Er konnte es nicht sein lassen. Also war sie schließlich darüber hinweggegangen, hatte darüber weggefühlt. Charmant, wie er gewesen war, hatte Hubert sie nie in die Verlegenheit gebracht, offen diese Dinge besprechen zu müssen. Es blieben Seitensprünge.
    Aber dieser Ekel veränderte doch etwas in ihr. Leicht, fast unmerklich fraß es sie auf. Es fraß ihre guten Gefühle auf.
    Langsam stieg sie die Treppe hinauf. Sie stockte vor der Tür seines Zimmers. Einen Augenblick setzte ihr Herzschlag aus. Dann öffnete sie die Tür. Langsam. Das Bett war leer. Friederike atmete aus. Dieses ehemalige Himmelbett würde für immer leer bleiben.
    "Let me sail to the depth of your soul..." klang dünn Musik durchs Haus, wie eine ferne Geisterstimme. Friederike betrat das Zimmer, betrachtete die Hebevorrichtung, die jetzt nutzlos vor dem Bett lag, und die Klingel, deren schriller Klang sie die letzten zehn Jahre lang überall im Haus, zu jeder Tages- und Nachtzeit erreicht hatte, deren Klang jedes Mal wie ein Blitzstrahl in ihre Seele eingedrungen war, unausweichlich und zerstörerisch.
    Ein letztes Bild hing neben dem Fenster. Hubert mit fünfundfünfzig. Zwei Jahre bevor ihn der Schlag traf. Immer noch stattlich, immer noch stark. Diese fast stechenden Augen, deren harter Blick nichts anderes bedeutete als sexuelle Gier. Männlich, nennt man das. Männlich! Friederike verzog ihr Gesicht. Vielleicht war es männlich, nicht warten zu können. Mit nichts und niemandem. Vielleicht war es weiblich, warten zu können. Vielleicht war es männlich, nicht fühlen zu können. Vielleicht war es weiblich, zu fühlen.
    Quatsch! Dachte sie schnell. Alles Quatsch. Es gibt gierige Typen, und Hubert war so einer. Und es gibt nicht gierige Typen. Ich, dachte Friederike, bin nicht gierig. Er hätte mich fast aufgefressen, gierig verschlungen. Fast.
    Als Hubert fünfundfünfzig Jahre alt wurde, wäre sie ihm beinahe davongelaufen. Auf seinem Geburtstag, noch während der Feier. Plötzlich, mitten zwischen Erdnüssen, Zigarrettenqualm und Bierlachen, konnte sie es nicht mehr ertragen. Seine aufgeblähten Redensarten, seine handgreifliche Art, mit den weiblichen Gästen umzugehen, seine M ä n n l i c h k e i t . Und sie konnte es nicht mehr ertragen, dass sie umgekehrt ihre Wünsche nach Nähe und Freundlichkeit nicht so anbringen konnte, wie er es tat. Sie hatte es nie gelernt. Sie war nur fett geworden und hässlich. Ihr wurde kotzelend, und sie wollte weg. Sie wäre auch gegangen(wohin?), wenn Arno, ihr zweiter Sohn, sie nicht zurückgehalten hätte.
    Er dachte, sie wäre betrunken. Das war ja erlaubt. Wenn auch nicht erwünscht. Sich betrinken, statt handeln. An diesem Abend verhinderte Arno ihr Handeln. Aber er verhinderte nicht, dass sie bis zur Besinnungslosigkeit weiter trank.
    Friederike sah das Bild in ihrer Hand, sah in die stechenden Augen und dachte daran, dass diese Stärke zwei Jahre später gebrochen sein würde.
    Es geschah so, dass Hubert

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