Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Stern. Als Ilein seine Hand zurückzog, entsprang den mittleren Steinen eine giftig grüne Flamme und begann gierig das Muster zu umwittern.
Der Steuermann des Schiffes, auf dem gefeiert wurde, war vielleicht der einzige zu dieser Stunde, der den Vorgängen auf dem Wasser einige, wenn auch zunächst noch nicht ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte. Als er nun aber die riesigen Nebelwehen gewahrte, die wie Eisberge vom Meer her das Schiff zu berennen begannen und er sich vergegenwärtigte, dass die Dunkelheit immer stärker zunahm, begann er zu fluchen und sich inbrünstig zu wünschen, endlich sicher in den Hafen einlaufen zu können. Der Kapitän feierte. Sicher war er schon wieder betrunken, wozu er, wie die ganze Mannschaft wusste, nicht unbedingt eine Feier benötigte. Da rauschte aus dem Nichts heraus eine Sturmböe heran und ließ das Schiff, das mit vollen Segeln lief, bis an die Reling steuerbords ins Wasser tauchen. Sofort nahm es schwer Wasser durch die geöffneten Luken und wurde merklich langsamer. Schreie ertönten, Menschen fielen übereinander, Lichter erloschen. Im Gefolge der Böe rollten Riesenwogen heran, rüttelten das Schiff durch bis zur letzten Planke und schmetterten die unglücklichen Menschen über das Deck, als wären sie nur Papierbündel.
Ilein setzte den neunzehnten Stein. In diesem Augenblick stieß fast lautlos das schwarz geflaggte zweite Segelschiff auf Backbord heran, wie ein Raubvogel sich auf sein ins Gras geducktes Opfer stürzt. Da es aus Luv herankam, nahm es dem bunten Schiff den Wind aus den Segeln, machte es für den Moment manövrierunfähig. Die eben noch Feiernden lagen jetzt hilflos auf den Planken, versuchten sich verzweifelt festzuklammern. Sie schrien wild durcheinander. Als sie nun aber die herabstoßende Gefahr in Gestalt des schwarzen Schiffsbuges erkannten, verstummten sie. Drüben, auf dem anderen Schiff, war immer noch keine Menschenseele zu sehen, nur der Sarg, der am Steuerhaus festgezurrt war. Kein Licht fiel aus dessen runden Scheiben, die wie tote Augen auf die hilflosen Menschen starrten. Wie von Geisterhand geführt, hielt das schwarz geflaggte Schiff weiter auf sie zu und näherte sich ihnen mit grausamer Geschwindigkeit.
Ilein setzte den zwanzigsten Stein und tauchte seine Hand furchtlos und starr auf das Muster blickend in die grünliche Flamme, die jetzt den Stein umgab wie ein Strahlenkranz. Das Feuer sprang auf seinen Arm über und kroch gierig bis zur Schulter hoch, erfasste sein langes Haar, den Kopf und schließlich den ganzen Körper. Ilein hatte sich in eine riesige lodernde, grüne Flamme verwandelt, gehörte nicht mehr sich selbst, hatte keinen eigenen Willen mehr. Das Muster tat seine grauenhafte Wirkung ohne weiteres Dazutun und schonte auch Ilein nicht. Schon färbten sich seine Hände schwarz.
Endlich löste sich der Steuermann aus seiner Starre und riss das Ruder herum, versuchte aus dem Leefang des Schwarzgeflaggten zu entkommen.
Nur zu träge gehorchte sein Schiff dem Ruder.
Unendlich langsam fiel aus Ileins Hand, oder was immer noch von ihr übrig geblieben war, der einundzwanzigste Stein genau an die richtige Stelle. Jetzt war das Muster vollständig. Das grüne Feuer griff auf die ganze Landzunge über, ließ die Felsen brennen, schob sich auf das Wasser hinaus. Ilein erhob sich ein wenig und schlug dann rücklings hin. Als es auf den Boden schlug, zerbrach sein Körper in dicke schwarze Brocken.
Endlich gehorchte das bunte Schiff dem Ruder, die Segel füllten sich wieder. Obwohl es tief im Wasser lag, begann es gut Fahrt zu machen. Es schien zu gelingen, dem Kollisionskurs des schwarz geflaggten Seglers zu entkommen. Doch als der Steuermann und auch alle anderen, die dem Manöver in atemberaubender Spannung folgten, ihr Schiff schon gerettet sahen, tat es einen furchtbaren Laut. Ein Krachen und Knirschen schwoll auf, bis es sich zu einem einzigen gellenden Schrei steigerte. Der Steuermann wurde mit solcher Gewalt gegen das hartholzige Ruder geworfen, dass sein Schädel brach wie eine zerbrechliche Eierschale. Das Schiff war auf einen Felsen aufgelaufen und das harte Gestein hatte steuerbords ein riesiges Leck gerissen, den Bug nachgerade aufgeschnitten. Das Segelschiff sank in wenigen Augenblicken. Sein schwarz geflaggter Begleiter mit dem Sarg wechselt wieder den Kurs, zog unendlich langsam an dem gesunkenen Schiff vorbei Richtung Osten und verschwand im Nebel. Es wurde nirgendwo mehr gesichtet. Es verschwand einfach, als
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