Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
Uhren anders, wenn überhaupt.
" Gabriel!", scholl es ihm aus einem Raum entgegen, der offenbar keine Grenzen besaß.
"Du heißt Gabriel!" , und es stimmte.
Der unendliche Raum gewann an Licht. Der schwarze Teich hatte sich zu einem See schwarzen Wassers erweitert. Er ruderte weiter. Eine kleine Bugwelle lief wie ein großes "V" zu den Ufern. Schwarz perlten die Wasser zwischen dem Schilfrohr. Vorab gewahrte er eine Insel und steuerte sie an. Als Gabriel sich unsicher dem Ufer näherte, erkannte er, dass er erwartet wurde. Wie die Seekönigin der Sage stand dort, etwas erhöht auf einem Hügel, eine wunderschöne Frau mit goldenem Haar, weiß gewandet mit einem feinen, hauchzarten Kleid, nebelfadengesponnen, fast durchscheinend. Sie lächelte ihn freundlich an, ja, vertraulich, als wenn sie ihn kennen würde.
Gabriel stieg an Land und sprang geradezu den sanften, wiesenüberfluteten Hügel hinan, der Frau entgegen. Gabriel sog die kühle Abendluft tief in sich hinein und schloss die Augen. Er genoss den Geruch, die Mystik des Ortes.
Er trat auf die Frau zu und umarmte sie. Die Frau erwiderte die Umarmung. Als Gabriel nach langer Zeit die Augen wieder öffnete, sah er über die Schulter der blonden Frau hinweg auf der Kuppe eines weiteren Hügels die Andere stehen. So wie die Frau in seinen Armen blond und hell, war die Andere auf dem Hügel dunkel. Von Nahem hätte er erkannt, dass ihr Haar, ihre Augenbrauen, ihre Augen, ihr Mund, ihre Haut, sogar ihre Lippen und die Fingernägel dunkel waren, und gänzlich schwarz war ihr Kleid. Sie schaute wissend lächelnd dem sich umarmenden Paar zu.
Gabriel riss seinen Blick von der Anderen los und fragte die Frau in seinem Arm: "Wie heißt du?"
Aber sie antwortete ihm nicht.
Er fragte: "Siehst du die Andere auf der Kuppe des Hügels?"
Ihr Blick folgte der Weisung seines Armes, aber sie schüttelte den Kopf.
"Aber das ist doch nicht möglich!" , brauste er auf und bereute schon im gleichen Augenblick seine Unbeherrschtheit, denn die helle Frau wurde traurig. Ein Schatten zog über ihr Antlitz.
Die Frau auf der anderen Kuppe beobachtete sie still. Gabriel löste sich von der hellen Frau, ließ sie wortlos stehen und stürzte den Hügel hinunter und den nächsten hinauf. Es konnte nicht weit sein. Aber die Andere war verschwunden. Doch, nein, jetzt sah er sie in einem Felsengewirr hinter dem zweiten Hügel entschwinden. Ihr schwarzes Kleid wehte wie eine Fahne. Gabriel rannte ihr nach, verlor sie, fand sie, verlor sie dann endgültig.
Als er nach diesem atemlosen Rennen zum Stillstand kam, fand er sich umgeben von in den Himmel starrenden schwarzgrünen Felsen.
Gabriel stand in der Mitte der Insel auf einem runden Platz, auf dem in früheren Zeiten Menschen um den flachen Felsen in seinem Zentrum getanzt haben mochten.
Das Licht des Tages verlor jetzt zunehmend an Kraft. Da trat die Andere aus dem Schatten eines himmelhohen Felsenriesens auf ihn zu. Alles Fliehende war jetzt von ihr gewichen. Gabriel spürte ihre animalische Kraft wie eine Woge auf sich zu kommen.
Sie blickte ihn gerade an und er erkannte in der Dunkelheit ihrer Augen die Schwärze des Flusses und die Schwärze des Teiches gemildert allein durch winzige rotgoldene Punkte, letzte Abgesandte der untergehenden Sonne. Sie öffnete ihre Arme und Gabriel verscheuchte rasch alle Gespenster der Angst, die in ihm auferstanden waren. Dann gab er sich der Umarmung hin, als gelte es sein Leben. Tatsächlich erfasste ihr Kuss jede seiner Fasern, zerrte an seiner innersten Persönlichkeit. Gabriel sah alles, was er war oder zu sein glaubte, auf der Fläche einer schlanken Hand ausgebreitet. Die Hand ballte sich zur Faust, öffnete sich dann wieder ganz langsam und ihr Inneres war leer. Nein, nicht ganz leer. In der Mitte der Handfläche glänzte ein schwarzer Tropfen auf, eine Träne?
In Gabriel brauste ein mächtiges Jauchzen auf, eine unbeschreibliche Freude überkam ihn.
Er sah die dunkle Frau an und sagte, schrie es fast: "Ich weiß nicht mehr, wie ich heiße, ich habe es..., ich habe es vergessen!" Die Freude in ihm schwoll an wie eine mächtige alles erfassende Woge. Die Frau spürte es und lachte. Sie drehten sich im Kreis, tanzten in wilden Sprüngen um den Stein, bis sie hinfielen und sich hemmungslos liebten.
Als Gabriel erwachte, lag er allein. Er bemerkte, dass er nicht mehr zwischen den Felsen lag, sondern im Laub vor dem schwarzen Teich im Mooseichenwald. Die Sonne ging gerade auf. Als er sich
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