Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
über den Teich beugte, um in ihn hineinzuspähen, sah ihn ein fremdes Gesicht an. Da wusste er, dass er nicht mehr Gabriel war.
Loch
Vollkommen in Gedanken versunken setzte Elko eine Dose Eintopf ins Wasserbad. Die dritte in dieser Woche. Mela war jetzt drei Tage fort. Natürlich hatte er schon in der Kantine zu Mittag gegessen. Aber dieses Kantinenessen hielt einfach nicht vor. Abends überfiel ihn oft noch ein Heißhunger, dem er am besten mit möglichst salzigen Suppen begegnete.
Elko ließ sich im Sessel nieder und stöhnte. Er versuchte den Verband an seinem verletzten rechten Knie zurechtzurücken. Leise drangen Laute der Aquariumspumpe und der verhaltene Straßenlärm von draußen an sein Ohr.
Die Fenster waren geschlossen, die Rollläden schon heruntergelassen. Die Einsamkeit klopfte an. Manchmal sprach er mit sich selbst. Oder mit Mela. Er bildete sich einfach ein, sie wäre noch da.
Als sie noch da war, hatte er auch manchmal mit ihr gesprochen. Es war schon nicht leicht. Sie interessierte sich nicht für seine Arbeit. Andere Betätigungen kannte er aber nicht. Worüber also sollte er schon mit ihr sprechen?
Immerhin, manchmal fiel ihr etwas ein, manchmal fiel ihm etwas ein. Es war ja egal, was. Hauptsache, er hörte den Klang ihrer Stimme, denn solange er diese Stimme hörte - das war so seine ganz persönliche kleine magische Idee - konnte die Einsamkeit nicht anklopfen, jedenfalls nicht so laut. Elko fürchtete nicht viel in seinem Leben. Dafür war er auch zu eingespannt. Aber er fürchtete die Lücken in seinen Gedankenketten. Und mit Mela konnte er diese Lücken so angenehm füllen, mit ihrer Stimme, mit einer körperlichen Berührung.
Nun war Mela fort. Elko schüttete sich ein Glas mit klarem Sprudelwasser voll. Lebensvolle Perlen quirlten empor.
Mela hatte gesagt, sie wolle nur für eine Woche gehen. Aber Elko wusste es besser. Sie war für immer gegangen. Gar keine Frage. Er lehnte sich im Sessel zurück und kicherte. Als wenn er so etwas nicht durchschauen würde! Schließlich war er schlau, begabt und empfindsam. Auch wenn sein ganzes Berufsleben aus Zahlen bestand, war er doch in der Lage zu durchschauen, was sich in Mela gefühlsmäßig abgespielt hatte. Ihre Ehe hatte in den letzten Jahren einen Showdown durchgemacht. Wie ein Segel am Mast ganz langsam in sich zusammenfällt, wenn der Wind zu schweigen beginnt, so war ihr Gefühl füreinander in sich zusammengefallen.
Wieder durchzuckte ihn der Schmerz im rechten Knie. Da war nichts zu machen. Bei dem Sturz in den Kanal heute Morgen hatte er sich eine Prellung geholt, vielleicht sogar noch eine Zerrung. Das brauchte seine Zeit.
Elko griff mit der Linken zu seinem Glas, doch da war kein Glas mehr.
Elko erstarrte. Das war es genau, was ihn in den letzten Wochen so irritiert hatte. Und auch jetzt war es wieder geschehen. Aus heiterem Himmel heraus war ein Loch entstanden, und das Glas Wasser war in diesem Loch verschwunden.
War dies nun ein tatsächliches, plötzlich auftretendes Loch in dem das Glas umgebenden Molekülgitter? Wenn das zutraf, entstand die weitere ungeklärte Frage, warum sich die das Glas umgebenden Moleküle plötzlich motiviert fühlen sollten, zu verschwinden? Oder handelte es sich um ein Loch im Raum-Zeitkontinuum?
Angenommen, Zeit wäre eine Schwingung und das Glas wäre, aus welchen Gründen auch immer, in eine andere Schwingungsfrequenz übergegangen, der Elko nicht angehörte? Oder handelte es sich einfach um ein Loch in seinem, Elkos Bewusstsein, um es klar zu sagen, war er vielleicht verrückt geworden? Wo, zum Teufel, aber war dann dieses Glas wirklich geblieben?
Elko brach kalter Schweiß aus, genau wie heute Morgen, als er den Weg zur Bushaltestelle abtrottete. Er näherte sich einer Kanalbaustelle. Die Arbeiter hatten ihre Schicht gerade beendet, die Absperrung fortgeräumt, den Kanaldeckel geschlossen und wandten sich nun zum Fortgehen, als Elko vor dem frisch eingelegten Kanaldeckel ankam und zögernd stehenblieb.
"Sie können drauf treten", sagte der eine Arbeiter, als er Elkos Zaghaftigkeit erkannte.
"Der Deckel ist wirklich ganz fest."
Sein fester Arbeiterbauch zuckte aus innerem Lachen.
Elko spürte die Krise sich nähern und hob den ersten Fuß zum Schritt. Vorsichtig setzte er ihn auf. Mindestens versuchte er es. Denn da war nichts mehr, kein Kanaldeckel, kein Halt. Elko fiel ins Leere, sah im Vorbeigleiten die entsetzten Gesichter, seine Aktentasche flog davon. Ein heißer Schmerz
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