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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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lag vor ihm und wollte begrüßt werden. Marius durchquerte den Hochwald auf einem Weg, den nur er und die Möwe erkennen konnten.
     

Laser
    25. November 1983
    Freitag, gegen 16 Uhr
    Die Fahrt in die untergehende Sonne tat Gurth gar nicht gut. Das rötlich intensive Licht blendete ihn ständig. Es zauberte immer wieder irritierende Reflexe auf die gewölbte Windschutzscheibe. Zwei Stunden lang fuhr er nun schon durch diese erschreckend öde Landschaft, die flach war und ungeheuer weit, so weit, wie er es in seinem kleinen Land gar nicht vermutet hatte. Donovans "Universal soldier" klang aus dem Lautsprecher seines Autoradios. So einfach und so genial fand Gurth diese Klänge und auch den Text. Hatte die Friedensbewegung den alten Meister gerade jetzt eingeladen, um die Stimmung der großen Demos von Sommer und Frühherbst 1983 noch weiter am Leben zu erhalten?
    Wo kam diese ganze Weite her? In der Stadt trat man sich um diese Zeit gegenseitig auf die Füße. Ganze zwei Autos waren ihm in der letzten Stunde auf der Fahrt über diese kleinen Straßen begegnet.
    Endlich tauchte hinter einem Wäldchen schmaler Fichten das moderne Vorführungs- und Testzentrum der NATO auf, geschickt der graugrünen Umgebung in entsprechenden Farbtönen angepasst.
    Gurth war hierhin beordert worden, um sich von der Wirksamkeit einer neuen Waffe, die in interessierten Kreisen unter dem Decknamen BALLOKI bekannt geworden war, zu überzeugen.
    Der Name der Firma, die ihnen hier die Vielseitigkeit von BALLOKI (wohinter sich die neueste Entwicklungsstufe eines Kampflasers verbarg) vorstellen wollte, erinnerte Gurth an ein bekanntes Beerdigungsinstitut seines kleinen Heimatstädtchens. Das Geschäft hieß Krampe. Als Kinder hatten sie oft vor der Schaufensterscheibe gestanden und dort angesichts der Särge ausgelost, wer von ihnen abends die Mutprobe vollbringen sollte. Die Mutprobe bestand darin, im Dunkeln heimlich, still und leise in die Werkstatt hinter dem Geschäft zu schleichen, die knarrende Tür zum Sarglager zu öffnen und - als Gipfel - sich in den 'aktuellen' Sarg zu legen. Der 'aktuelle' Sarg war der, der gerade bearbeitet wurde und immer auf zwei Holzböcken im Gang bereit stand.
    Einmal - und dieser Abend war von Gurth in der Datei "unvergesslich" gespeichert - fiel das Los wieder einmal auf ihn. Gurth fiel bei der Gelegenheit auf, dass das Los bei solchen Mutproben verdächtig oft auf ihn fiel, so dass der Gedanke nahe lag, bei den Auslosungen ginge es nicht ganz mit rechten Dingen zu.
    Gewissermaßen z ur Anregung hatten sie wieder eine ganze Zeit vor dem erleuchteten Schaufenster gestanden und sich angesichts der makabren Auslage darüber unterhalten, was eigentlich passieren würde, wenn man starb, aber nicht so ganz, also nur scheinbar, und dann drei Meter unter der Erde wieder wach werden würde, eingesperrt in diesen dunklen Holzkäfig.
    Sie kamen überein, dass es besser wäre, in der Leichenhalle schon wieder zu erwachen, am besten, wenn alle Verwandten gerade völlig verheult vor dem Sarg standen, oder noch besser, mitten im Trauergottesdienst, möglichst an der Stelle des Rituals, wo die Pfarrer immer von der Auferstehung der Toten zu sprechen pflegen.
    Nach diesen Überlegungen schlich Gurth mit seinen zwei Freunden auf dem ihnen bekannten Weg in die Werkstatt. Die Tür zum Sarglager schrie beim Öffnen wie eine gequälte Katze. Da stand er auf den Böcken, pechschwarz, glänzend, wie ein halbierter Monolith aus einer anderen Welt. Gurth legte die Hände an den Rand des Sarges. Mit seinen zehn Jahren konnte er vom Boden aus nicht hineinsehen. Er stellte seinen rechten Fuß auf das hervor ragende Stück des hinteren Bockes. Mit geübtem Schwung zog Gurth sich hoch, um die Mutprobe zu Ende zu bringen. Keiner sprach ein Wort. Die Stille überzog das ganze Sarglager wie ein Leichentuch.
    Aber diesmal war es Gurth nicht vergönnt, seinen zwei Freunden den letzten Beweis männlich-kühler Abgebrühtheit zu erbringen. Der Sarg war schon besetzt. Ein gelbes Gesicht grinste Gurth an. Ein alter Mann, dem Gurth sicher auch zu Lebzeiten nicht von hier bis zur nächsten Straßenecke getraut hätte, lag im Sarg. Seine Züge strahlten eine solch ekelhafte Bosheit aus, dass sie Gurths klares Denken schockartig ausschaltete. Wie gebannt starrte er in das Gesicht des Toten. Es brannte sich für immer in sein Gedächtnis ein. Er würde dieses höhnische Lächeln auf den messerscharfen Lippen und diese Augen, die völlig glanzlos, ja

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