Lacunars Fluch, Teil 3: Wüstensöhne
Hofbeamte: Lenthor, der ›Mund des Königs‹ und Sangor, ein Rechtsgelehrter. Der Mondpriester Astvar fungierte als sogenannter ›Gerechter‹. Er durfte jeden unterbrechen, wenn er es für nötig hielt. Außerdem waren zwei Schreiber anwesend, um den Ablauf zu protokollieren.
Auf den hinteren Bänken wohnten hochrangige Mitglieder des Hofstaates der Verhandlung bei, doch sie besaßen weder eine Stimme im Prozess noch irgendein Einspruchsrecht. Ein Platz war für Anamarna freigelassen worden, der von seiner fernen Kurdurquelle noch nicht eingetroffen war.
Rastafan, mit Stricken an Händen und Füßen gefesselt, stand hinter einer Absperrung. Schwere Ketten hatte man ihm erspart, um seine prinzliche Würde zu wahren. Er wurde von zwei bewaffneten Männern bewacht, aber er hatte nicht vor, Schwierigkeiten zu machen. Mit gefasster Miene verfolgte er das Geschehen. Er hatte Zeit zum Nachdenken gehabt. So viele Fehler hatte er aus Leichtsinn, Stolz und Blindheit begangen.
Wenn sie mich für eine Tat schuldig sprechen
, dachte er,
die ich weder geplant noch begangen habe, dann soll es so sein, denn Strafe habe ich verdient.
Im Zeugenstand auf der anderen Seite des Raumes saß Gaidaron, der den verräterischen Brief gefunden hatte. Obwohl er seinem Ziel so nahe gekommen war, wirkte er blass und zerfahren. Hin und wieder flog sein Blick zu Rastafan hinüber, doch dieser schenkte ihm keinerlei Beachtung, so als sei er gar nicht vorhanden.
»Ich eröffne den Prozess gegen Prinz Rastafan von Fenraond«, begann Suthranna mit seiner volltönenden Bassstimme. »Die Anklage gegen ihn lautet auf Verschwörung zum Mord und Landesverrat. Dazu werden wir einige Zeugen und auch den Angeklagten selbst hören. Es ist möglich, dass heute noch kein abschließendes Urteil gefällt werden kann. Das wird sich im Laufe des Verfahrens ergeben.« Er wandte sich an Rastafan: »Bekennst du dich schuldig im Sinne der Anklage?«
Rastafan ließ seinen Blick gleichmütig in die Runde schweifen. »Nein. Ich habe mit dem Mord an meinem Vater nichts zu tun. Und dass meine Mutter …«
Suthranna unterbrach ihn. »Dazu kommen wir später. Da du leugnest, werden wir die Wahrheit in diesem Verfahren herausfinden müssen.«
Die Wahrheit!
, dachte Rastafan. Beinahe hätte er bitter aufgelacht.
Ich sehe nur einen Zeugen, und der wird mich mit seinem gefälschten Brief belasten. Wie will man hier die Wahrheit herausfinden?
Aber da hatte er sich im Rechtsempfinden der Priester getäuscht.
»Es ist dir zu deiner Verteidigung jederzeit gestattet, Zeugen zu benennen, die dich entlasten«, fuhr Suthranna fort. Dann erteilte er dem Rechtsgelehrten Sangor das Wort.
»Ich möchte den Hergang der Tat und die Auffassung des Gerichts dazu kurz erläutern«, näselte dieser. Er war klein, dürr, mit spärlichem Haarwuchs und einer großen Nase gesegnet. Doch seine Augen waren klug und lebhaft. »Wir wissen, was vorgefallen ist. Die Türwächter Erslan und Gamor hörten Schreie aus dem Hochzeitsgemach und drangen deshalb in das Zimmer ein, was ihnen gewöhnlich streng untersagt ist. Aber in diesem Falle war es natürlich angemessen.«
»Schreie?«, unterbrach Astvar ihn. »Hätten es nicht auch Lustschreie sein können?«
»Die Männer waren durchaus in der Lage, Schmerzensschreie von Lustschreien zu unterscheiden.«
»Was aber oftmals dasselbe ist.« Im Hintergrund war leises Gelächter zu hören.
»Wir wissen heute, dass es echte Schmerzensschreie waren«, erwiderte Sangor ungehalten.
Astvar wusste natürlich, dass sein Einwand sinnloses Geplänkel war, aber hin und wieder machte er von seinem Einspruchsrecht Gebrauch, um die Redner zu verwirren und sie zu zwingen, sachlich zu bleiben und keine eigenen Wertungen abzugeben.
»Erslan – so seine Aussage, die uns schriftlich vorliegt – erfasste sofort die Situation«, sagte Sangor. »Der König lag in seinem Blut, und seine Frau Zahira hielt noch das blutige Messer in der Hand. Deshalb tötete er sie mit seiner Lanze. Gamor rannte hinaus auf den Korridor, um einen Arzt zu holen. In der Zwischenzeit kümmerte sich Erslan um den König, aber er konnte den Blutfluss nicht aufhalten. Als ein Arzt eintraf, war der König bereits verblutet.«
»Meines Erachtens«, sagte Astvar, »hat Erslan voreilig gehandelt. Als er ins Zimmer stürmte, war die Tat bereits geschehen und Zahira keine Gefahr mehr. Er hätte sie festnehmen müssen, dann hätten wir heute ihre Aussage. So müssen wir uns mit Vermutungen
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